Alles neu in Sachen Urlaubsabgeltung durch den EuGH? Der Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), Yves Bot, hat am 29.05.2018 gleich in mehreren Verfahren Schlussanträge vorgelegt, die den Urlaubsanspruch, konkret den Anspruch auf Abgeltung nicht genommener Urlaubstage nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, betreffen. Zwar sind die Schlussanträge eines Generalanwalts – theoretisch – ohne rechtliche Relevanz, da sie für den EuGH nicht bindend sind. Das Interessante an diesen Schlussanträgen ist jedoch immer wieder, dass diese häufig ein wesentliches Indiz dafür bieten, in welche Richtung die Entscheidung des EuGH gehen wird. Die Schlussanträge von Generalanwalt Bot können daher entscheidend sein für die Fragen,
- unter welchen Voraussetzungen ein Urlaubsanspruch vererbbar ist und
- ob Arbeitgeber künftig verpflichtet sind, ihren Arbeitnehmern Urlaub zu geben, ohne dass diese zuvor einen Urlaubsantrag gestellt haben
und sind daher entscheidend, um die bestehende Rechtslage zum Recht auf Urlaubsabgeltung zu beeinflussen.
Abgeltung oder Verfall nicht genommenen Urlaubs – die beiden Sachverhalte
Der ersten Rechtssache (C-619/16) liegt ein Vorabentscheidungsbeschluss des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Berlin-Brandenburg vom 14.09.2016 (OVG 4 B 38.14) zugrunde. Der Kläger war Rechtsreferendar beim Land Berlin. Er hatte sich in den letzten fünf Monaten seines Referendariats dazu entschieden, keinen Jahresurlaub zu nehmen. Nach Abschluss seines Rechtsreferendariats beim Land Berlin beantragte der Kläger eine finanzielle Abgeltung des nicht genommen Resturlaubs. Dieser Antrag wurde mit der Begründung abgelehnt, dass die anzuwendende Verordnung über den Erholungsurlaub der Beamten und Richter (Erholungsurlaubsverordnung – EUrlVO) vom 26.04.1988 einen solchen Abgeltungsanspruch nicht vorsehe. Somit erlischt der Urlaubsanspruch am Ende des Bezugszeitraums, wenn der Arbeitnehmer innerhalb dieses Zeitraums keinen Urlaub beantragt hatte. Das Erlöschen des Urlaubsanspruchs hat das Erlöschen des Abgeltungsanspruchs zur Folge. Das vom Kläger angerufene OVG fragte den EuGH, ob das Unionsrecht solchen nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehe.
In einem zweiten Vorabentscheidungsersuchen (Rechtssache C-684/16) war der Kläger über zehn Jahre aufgrund mehrerer befristeter Arbeitsverträge beschäftigt. Am 23.10.2013 erfuhr er, dass sein Arbeitsvertrag nicht verlängert wird. Gleichzeitig forderte sein Arbeitgeber ihn auf, vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2013 seinen Urlaub zu nehmen, ohne jedoch Urlaubstage von sich aus einseitig und für den Kläger verbindlich festzulegen. Da der Kläger nur zwei Tage Urlaub nahm, forderte er seinen Arbeitgeber zur Zahlung einer Abgeltung von 51 nicht genommenen Urlaubstagen auf. Das BAG führt in seinem Vorlagebeschluss vom 13.12.2016 – 9 AZR 541/15 (A) – aus, dass nach § 7 BUrlG der Arbeitnehmer den Urlaub beantragen müsse, damit der Urlaubsanspruch nicht am Ende des Bezugszeitraums ersatzlos untergehe. Es fragte den EuGH, ob das Unionsrecht dieser Regelung entgegenstehe.
Die bisherige Rechtsprechung
Das BAG vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, der Arbeitgeber könne nicht verpflichtet werden, dem Arbeitnehmer die bezahlte Freistellung aufzuzwingen, um den Anspruchsverlust am Ende des Bezugszeitraums zu verhindern. Anspruch des Arbeitnehmers auf Schadensersatz in Form eines Ersatzurlaubes nach § 280 Abs. 1 BGB und § 280 Abs. 3 BGB, § 283 BGB i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB, der sich mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach § 251 Abs. 1 BGB in einen Abgeltungsanspruch umwandelt, bestehe nur dann, wenn sich der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Untergangs des originären Urlaubsanspruchs mit der Urlaubsgewährung in Verzug befunden hat, weil er den rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt habe (so etwa: BAG, Urteil vom 06.08.2013 – 9 AZR 956/11).
Nach bisheriger Rechtsprechung des EuGH ist der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Gemeinschaft anzusehen, von dem nicht abgewichen werden darf (so z.B. EuGH, Urteil vom 20.01.2009 – C-350/06 und C-520/06 –Schultz-Hoff und Stringer u.a.). Einige Instanzgerichte, darunter auch das Landesarbeitsgericht (LAG) Berlin-Brandenburg (Urteil vom 12.06.2014 – 21 Sa 221/14), nahmen dies zum Anlass, der Rechtsprechung des BAG den Rücken zu kehren. So urteilen die Berliner Richter, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub dem Gesundheitsschutz der Beschäftigten diene. Der Arbeitgeber sei daher verpflichtet, den Anspruch auf den gesetzlichen Jahresurlaub auch ohne Urlaubsantrag zu erfüllen. Diese Diskrepanzen sollen nun durch die Vorlageersuche bereinigt werden.
Die Stellungnahme des Generalanwalts
Nach der (unverbindlichen) Rechtsansicht des Generalanwalts Bot gelte nach der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU Folgendes:
- Der Umstand allein, dass ein Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt hat, kann nicht automatisch den Verlust des Anspruchs auf finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen Urlaub bewirken.
- War der Arbeitnehmer nicht in der Lage, seinen Urlaub zu nehmen, könne dieser Anspruch nach Ablauf des Bezugszeitraums bzw. Übertragungszeitraums nicht erlöschen.
- Verzichtet jedoch der Arbeitnehmer aus freien Stücken auf seinen Anspruch auf bezahlten Urlaub, obwohl er diesen hätte wahrnehmen können, biete auch die EU-Richtlinie keinen Vergütungsanspruch.
- In jedem Fall habe der Arbeitgeber geeignete und konkrete organisatorische Maßnahmen zu ergreifen, um den Jahresurlaub zu ermöglichen. Ihn träfen insbesondere Informationspflichten über den Verfall des Urlaubs- sowie Urlaubsabgeltungsanspruchs.
Im Fall des Referendars sei danach eine finanzielle Vergütung zu Recht verweigert worden. Anders hingegen im Fall der Befristung, da der Zeitraum, in dem der Arbeitnehmer seinen Urlaub nehmen sollte, zu kurz bemessen war.
Entschädigungsanspruch der Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers – die beiden Sachverhalte
Anlass der weiteren Schlussanträge des Generalanwalts sind zwei Vorlagebeschlüsse des BAG (Vorlagebeschluss vom 18.10.2016 – 9 AZR 196/16 (A) – und Vorlagebeschluss vom 13.12.2016 – 9 AZR 541/15 (A) -, denen Fälle zugrunde liegen, in denen die Klägerinnen von den früheren Arbeitgebern ihrer im laufenden Arbeitsverhältnis verstorbenen Ehemänner eine finanzielle Abgeltung des Jahresurlaubs fordern, den diese vor ihrem Tod nicht genommen hatten.
Die bisherige Rechtsprechung
Nach deutschem Recht gehe – so das BAG – ein Urlaubsanspruch mit dem Tod des Arbeitnehmers unter und kann sich nicht in einen Abgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BurlG i.V.m § 1922 Abs. 1 BGB umwandeln (BAG, Urteil vom 12.03.3013 – 9 AZR 532/11), der Teil der Erbmasse werden kann. Anerkannt hat das BAG bisher nur die Vererbbarkeit eines bereits entstandenen Urlaubsabgeltungsanspruchs (BAG, Urteil vom 22.09.2015 – 9 AZR 170/14). Hingegen entschied der EuGH in der Rechtssache Bollacke bereits im Jahr 2014 (Urteil vom 12.06.2014 – C-118/13), dass Art 7 der Richtlinie 2003/88/EG einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entgegenstehe, wonach der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ohne Begründung eines Abgeltungsanspruchs für nicht genommenen Urlaub untergehe, wenn das Arbeitsverhältnis durch den Tod des Arbeitnehmers ende. Das BAG will nun durch die Vorlagefrage beantwortet haben, ob dies auch gelte, wenn das einzelstaatliche Recht ausschließe, dass ein solcher finanzieller Ausgleich Teil der Erbmasse werden könne.
Die Stellungnahme des Generalanwalts
Nach der (unverbindlichen) Rechtsansicht des Generalanwalts Bot gelte nach der Richtlinie 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der EU Folgendes:
- Der Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub gehe auf die Erben des verstorbenen Arbeitnehmers über. Mit der Entscheidung in der Rechtssache Bollacke habe der EuGH bereits eine diesbezügliche Lösung auch unter Berücksichtigung der erbrechtlichen Aspekte getroffen.
- Eine unionsrechtskonforme Auslegung der nationalen Rechtsvorschriften sei möglich.
Fazit
Die eingangs gestellte Frage: „Alles neu in Sachen Urlaubsabgeltung durch den EuGH?“ kann daher – unterstellt der Gerichtshof folgt den Schlussanträgen des Generalanwalts – nur mit einem JEIN beantwortet werden. Nein – bezogen auf die Rechtsprechung des EuGH, denn diese wird durch die Rechtsansichten des Generalanwalts nur bestätigt; hingegen JA – bezogen auf die Rechtsprechung des BAG, denn dieses könnte nach den Urteilen des EuGH gleich zweimal gezwungen sein, eine Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung einzuleiten.
Es bleibt daher mit Spannung zu erwarten, wie der Gerichtshof sich zu den Vorlagefragen positioniert und noch spannender, wie das BAG mit den Entscheidungen des EuGH umgehen wird. Bei einer Rechtsprechungsänderung müssten sich künftig auch Arbeitgeber ihrer Pflicht zur Urlaubsgewährung deutlicher bewusst werden und wahrscheinlich organisatorische Veränderungen vornehmen, um etwaige Schadensersatzansprüche ausgeschiedener Mitarbeiter abwehren zu können.
Über die Entscheidungen von EuGH und BAG, insbesondere im Hinblick auf etwaige Handlungsempfehlungen, werden wir in unserem Blog berichten.