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Sanktionslistenscreening – kein Mitspracherecht des Betriebsrates

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Terrorlisten

Jeder Arbeitgeber ist verpflichtet, einen Abgleich seiner Mitarbeiter mit allen gelisteten Personen in den sogenannten Sanktionslisten der Europäischen Union durchzuführen. Anlass für die Aufnahme einer Person in eine solche Sanktionsliste ist eine Verbindung dieser Person zu einer Terrororganisation oder schlicht eine Embargo-Maßnahme. Die Durchführung eines Sanktionslistenscreening ist mit nennenswertem Aufwand verbunden und letztendlich nur EDV-gestützt möglich. Nunmehr hat das BAG aber zumindest eine Hürde für den Arbeitgeber genommen: Die Einführung und Durchführung eines automatisierten Sanktionslistenscreenings unterliegt nicht der Mitbestimmung des Betriebsrates.

Beitrag der Allgemeinheit zur Terrorabwehr

Die Sanktionslisten der Europäischen Union beinhalten eine umfangreiche Auflistung von terrorverdächtigen Personen oder Organisationen. Zu jeder Person sind nähere Daten aufgeführt, wie etwa Namen, Pseudonyme oder die zuletzt bekannte Adresse. Zugleich verbieten die Sanktionslisten jedwede Geschäftsbeziehung zu den gelisteten Personen. Das Verbot richtet sich sowohl an jeden Privatmann als auch an jedes Unternehmen. Konkret bedeutet dies: Niemand darf den in den Sanktionslisten aufgeführten Personen Gelder oder andere wirtschaftliche Ressourcen zur Verfügung stellen (sogenanntes Bereitstellungsverbot). Dadurch soll die bewusste oder unbeabsichtigte Förderung von Terrorismus unterbunden werden. Im Falle einer Zuwiderhandlung gegen die Sanktionslisten drohen Bußgelder oder sogar Strafen.

Auch Arbeitgeber haben daher die Sanktionslisten zu beachten. Denn jeder Arbeitgeber überweist seinen Mitarbeitern monatlich das Gehalt oder erbringt gegebenenfalls auch weitere Leistungen, wie etwa die Überlassung eines Dienstwagens oder eines Diensthandys. Vor diesem Hintergrund müssen auch die Arbeitgeber dafür Sorge tragen, dass sie das Gehalt oder die sonstigen Leistungen nicht – auch nicht aus Versehen – einer terrorverdächtigen Person zuwenden. Daher stehen auch Arbeitgeber in der Pflicht, regelmäßig die Daten ihrer Mitarbeiter mit den Statusdaten der Sanktionslisten abzugleichen.

Automatisiertes Sanktionslistenscreening

Aufgrund des kaum überschaubaren Umfangs der Sanktionslisten ist in der Praxis nur ein Datenabgleich in automatisierter Form mittels Verwendung einer entsprechenden Software durchführbar. Auf diese Weise agierte auch die Arbeitgeberin in dem vom BAG entschiedenen Fall: Sie führte anlässlich der monatlichen Gehaltszahlungen mittels einer Software ein automatisiertes Sanktionslistenscreening durch. Dabei glich die Software die Vor- und Nachnamen der bei der Arbeitgeberin beschäftigten Mitarbeitern mit den Statusdaten der Sanktionslisten ab. Im Falle einer vollständigen oder teilweisen Übereinstimmung  erfolgte eine Meldung an die Personalleitung, die ihrerseits sodann eine manuelle Überprüfung durchführte, um die Ergebnisse der Software zu verifizieren.

Erweiterte Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates?

Bislang bestanden bei der Einführung und Anwendung eines solchen automatisierten Sanktionslistenscreenings Unsicherheiten hinsichtlich eines Mitbestimmungsrechts des Betriebsrates. Verlässliche oder gar höchstrichterliche Rechtsprechung war nicht existent. Die Unsicherheiten wurden durch die erst kürzlich ergangene Facebook-Entscheidung des BAG vom 13. Dezember 2016 (1 ABR 7/15) bestärkt, mit der das BAG das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates im Bereich der technischen Überwachungseinrichtungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 6. BetrVG ausgeweitet hat (vgl. den Beitrag von Oliver Vollstädt vom 21. September 2017). Danach stellt bereits das Sammeln von Informationen mittels einer technischen Einrichtung eine mitbestimmungspflichtige Überwachung im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG dar.

Sanktionslistenscreening ist mitbestimmungsfrei

Nunmehr stellt das BAG in seiner Entscheidung vom 19. Dezember 2017 (1 ABR 32/16) klar, dass der automatisierte Abgleich von Vor- und Nachnamen der Arbeitnehmer mit den Statusdaten der Sanktionslisten kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG auslöst. Nach der Regelung des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG besteht ein Mitbestimmungsrecht bei der Anwendung von technischen Einrichtungen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen. Ein automatisierter Abgleich von Vor- und Nachnamen der Arbeitnehmer mit den Statusdaten der Sanktionslisten ist nach Auffassung des BAG indes nicht dazu bestimmt, das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen. Die Software erzeuge zwar eigenständige und neue Informationen, nämlich die teilweise, gänzliche oder fehlende Übereinstimmung der Vor- und Nachnamen mit den Statusdaten der Sanktionslisten. Der Datenabgleich gebe aber allenfalls darüber Auskunft, ob gegen einen Arbeitnehmer eine Verbotsmaßnahme im Sinne einer Sanktionsliste verhängt sei. Eine Aussage über ein betriebliches oder außerbetriebliches Verhalten mit Bezug zum Arbeitsverhältnis sei damit hingegen nicht verbunden.

Die Parallele zur Facebook-Entscheidung fällt sogleich ins Auge: Auch beim Sanktionslistenscreening stellt der Datenabgleich und die damit verbundene Auswertung (Übereinstimmung / keine Übereinstimmung) ein Sammeln von Informationen dar. Gleichwohl kommt das BAG zu der Auffassung, dass kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates besteht. Entscheidend stellt das BAG darauf ab, dass sich die Überwachung durch die technische Einrichtung auf ein Verhalten des Arbeitnehmers beziehen muss, das in einem inneren Zusammenhang zum Arbeitsverhältnis steht. Dies sei beim automatisieren Abgleich von Statusdaten nicht der Fall. Damit schließt sich das BAG im Ergebnis einer bereits in der rechtswissenschaftlichen Literatur vertretenen Auffassung an. Dies ist angesichts der Facebook-Entscheidung ebenso überraschend wie erfreulich.

Praxisfolgen

Durch die Entscheidung des BAG wird die Einführung und Anwendung eines automatisierten Sanktionslistenscreenings für den Arbeitgeber deutlich erleichtert. Er muss lediglich die entsprechende Software anschaffen und kann den Datenabgleich durchführen, um somit Verstößen gegen die Bereitstellungsverbote vorzubeugen. Es entfallen Verhandlungen mit dem Betriebsrat über den Einsatz einer entsprechenden Software, die gerade angesichts der geringen Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Übereinstimmung und mit Blick auf die beschränkte Aussagekraft einer etwaigen Übereinstimmung  hinsichtlich der betroffenen Person langwierig sein können. Ein Wermutstropfen bleibt: Die Beurteilung, ob ein IT-System im Einzelfall mitbestimmt ist, wird nicht leichter. Mit Blick auf die Facebook-Entscheidung des BAG wäre durchaus das gegenteilige Ergebnis möglich gewesen. Vielleicht wollte das BAG aber auch eines deutlich machen: Nicht jedes EDV-gestützte System bedarf der Mitbestimmung des Betriebsrates.

Dr. Oliver Vollstädt 

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Oliver Vollstädt berät Arbeitgeber und Top-Füh­rungs­kräfte in allen Fragen des Arbeits­rechts. Sein besonderes Know-how liegt bei kol­lek­tiv­recht­li­chen Themengebieten mit den Schwer­punkten Restruk­tu­rie­rungsberatung, Ver­hand­lung von Sozi­al­plä­nen und haustariflichen Gestal­tun­gen. Ferner ist Oliver Vollstädt anerkannter Experte in arbeits- und daten­schutz­recht­li­chen Fragen zum Einsatz von IT-Systemen und neuen Medien am Arbeits­platz. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Datenschutz".
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