Die immer stärker durch europarechtliche Vorgaben geprägte Auslegung der Vorschriften über Massenentlassungen (§§ 17 ff. KSchG) stellt Arbeitgeber vor enorme Herausforderungen – insbesondere, da von Arbeitnehmerseite immer häufiger jeder formale Fehler angegriffen wird, um daraus (zumindest) wirtschaftlich vorteilhaftere Konditionen im Rahmen eines Vergleichs im Kündigungsschutzprozess zu erreichen. Wenig hilfreich sind hier die von der Praxis oftmals als Übung in Bürokratie empfundenen Vorgaben der Bundesagentur für Arbeit – so etwa die Angaben zu Zahl und Berufsgruppe der zu entlassenden sowie der regelmäßig beschäftigten Arbeitnehmer (§ 17 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 KSchG) im Rahmen des Konsultations- und Anzeigeverfahrens. Da die vorgegebenen Berufsgruppen in vielen Fällen „nicht richtig passen“, ist die Zuordnung durch den Arbeitgeber fehleranfällig. Steckt hierin ein rechtliches Risiko für die Wirksamkeit der Kündigung?
Rechtlicher Hintergrund
Der Arbeitgeber ist bekanntlich verpflichtet, vor einer Massenentlassung im Sinne der §§ 17 ff. KSchG ein ordnungsgemäßes Konsultations- und Anzeigeverfahren durchzuführen. Fehler im Verfahren führen grundsätzlich zu einer Unwirksamkeit etwaiger Entlassungen im weiteren Verlauf (BAG, Urt. v. 22. 11. 2012 – 2 AZR 371/11 (Anzeigeverfahren), BAG, Urt. v. 21. 3. 2013 – 2 AZR 60/12 (Konsultationsverfahren)).
Im Rahmen des Konsultationsverfahrens muss der Arbeitgeber den Betriebsrat über Zahl und Berufsgruppe der regelmäßig beschäftigten wie auch der zu entlassenden Arbeitnehmer unterrichten (§ 17 Abs. 2 Nr. 2, Nr. 3 KSchG). Diese Angaben müssen sodann im Anzeigeverfahren gegenüber der Bundesagentur für Arbeit wiederholt werden (§ 17 Abs. 3 S. 4 KSchG). Für diesen letzten Schritt stellt die Bundesagentur für Arbeit online Formulare zur Verfügung, die immer wieder Änderungen unterworfen sind (und nicht in jedem Fall rechtlich belastbar sind, wie wir bereits verschiedentlich aufgezeigt haben). In dem Formular heißt es etwas apodiktisch:
Schlüsseln Sie Zeilen mit Entlassungen bitte möglichst nach Berufsklasse(n) (= erste 5 Ziffern der DEÜV-Nr.) auf. Sie unterstützen damit die Ver-mittlungsaktivitäten der Agentur für Arbeit. Ergänzende Hilfestellung – auch zu den Berufsgruppen – finden Sie im Alphabetischen Verzeichnis KldB.
Hier sollte sich der Leser in Erinnerung rufen: bei dem Begriff der Berufsgruppe handelt es sich um ein gesetzliches Tatbestandsmerkmal. Die Bundesagentur besitzt (jenseits faktischer Zwänge) keine gesetzliche Kompetenz, den Begriff der Berufsgruppe für Dritte verbindlich zu definieren – und zwar weder im Anzeige- noch im Konsultationsverfahren.
Dennoch nutzen Arbeitgeber in der Praxis selbstverständlich das „Alphabetische Verzeichnis KlDB“ (abrufbar bei der Bundesagentur für Arbeit hier), schon um Diskussionen mit den zuständigen Sachbearbeitern aus dem Weg zu gehen. Das Verzeichnis konfrontiert den Arbeitgeber mit derzeit über 140 Berufsgruppen (dreistelliger Schlüssel), fast 1300 Berufsgattungen (fünfstelliger Schlüssel) sowie rund 700 Berufsuntergruppen (vierstelliger Schlüssel), die zusätzlich das Anforderungsprofil der Tätigkeit konkretisieren.
Das Potential, dass bei einer (oft manuellen) Zuordnung zu diesen Berufsgruppen ein Fehler geschieht, ist hoch. „Bitte möglichst“ klingt im Formular der Bundesagentur nun nicht nach einem rechtlichen Risiko für den Arbeitgeber – aber ist dieses Bauchgefühl auch zutreffend? Entschieden hat das BAG bislang nur die Frage, dass jedenfalls bei einer Betriebsstillegung fehlende Angaben zu den Berufsgruppen geheilt bzw. unbeachtlich sein sollen (BAG, Urt. v. 9.6.2016 – 6 AZR 405/15).
Auslegung, insbesondere: Sinn und Zweck des Konsultations- und Anzeigeverfahrens
Für die Frage der Bestimmung, was – und ggf. in welcher Detailtiefe – der Arbeitgeber zu Berufsgruppen angeben muss und welche Folgen eine fehlerhafte Zuordnung haben könnte, ergibt sich weder unmittelbar etwas aus dem Gesetz (§ 17 KSchG) noch aus der zugrundeliegenden Richtlinie (98/59/EG). Mithin kann nur der Sinn und Zweck der formellen Verfahren eine Aussage dazu treffen, welche Angaben der Arbeitgeber aus welchen Gründen machen muss, will er auf Grundlage der Entlassungsanzeige wirksame Kündigungen aussprechen können.
Sinn und Zweck des Konsultationsverfahrens ist es, auf Basis der erhaltenen Informationen die geplanten Massenentlassungen abzumildern oder zu vermeiden. Praktisch betrachtet, ist diese Zwecksetzung jedenfalls nach deutschem Verständnis relativ sinnbefreit, da diese Fragen sämtlich regelmäßig schon im Rahmen von Interessenausgleichs – und Sozialplanverhandlungen Gegenstand gewesen sein werden. Dennoch: der europäische Gesetzgeber verlangt – und so legen es auch zunehmend die deutschen Gerichte aus -, dass der Arbeitgeber auch nach abgeschlossenen IASP-Verhandlungen die Maßnahme zumindest formal noch einmal komplett zur Disposition stellt, um die (leidlich bekannte) Ansicht des Betriebsrates hierzu noch einmal dokumentiert zu haben.
Sinn und Zweck des Anzeigeverfahrens hingegen ist es, der Agentur für Arbeit möglichst schnell eine Weitervermittlung der betroffenen Arbeitnehmer zu ermöglichen – d.h., dieser frühzeitig Informationen darüber zu verschaffen, in welchen Berufsgruppen Arbeitnehmer in naher Zukunft „am Markt“ sein werden, um entsprechende arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergreifen und mögliche geeignete neue Arbeitgeber kontaktieren zu können. Welche Maßnahmen hier in Betracht kommen, ergibt sich maßgeblich aus der zuletzt ausgeübten Tätigkeit (häufig abweichend von der formalen Arbeitsplatzbezeichnung im Personalverwaltungssystem) sowie den formalen Qualifikationen und Kenntnissen.
Folgen fehlerhafter Zuordnungen zu den Berufsgruppen
Vor diesem Hintergrund lassen sich verschiedene Fehler klassifizieren:
- Der Arbeitgeber gibt gar nichts zu Berufsgruppen an (Fall 1),
- Der Arbeitgeber macht eine Angabe, nennt jedoch nicht die fünf- sondern nur die drei- oder vierstellige Aufschlüsselung (Fall 2) oder
- Der Arbeitgeber ordnet einen Arbeitnehmer bei „korrekter“ Detailtiefe falsch zu, weil er etwa keine „passende“ Berufsgruppe finden kann (Fall 3).
Welche Konsequenzen drohen?
In Fall 1 ermöglicht der Arbeitgeber dem Betriebsrat zwar nicht, konstruktive Vorschläge zur Verhinderung oder Beschränkung der Massenentlassung zu unterbreiten (sofern man dies aus den o.g. Gründen überhaupt für erforderlich hält). Jedenfalls dort aber, wo dem Betriebsrat so oder so klar ist, welche Arbeitnehmer betroffen sind (z.B. aufgrund der Betroffenheit ganzer Bereiche, Sparten oder Betriebe), wird man das BAG so verstehen dürfen, dass die Nichtinformation in diesem Fall zumindest heilbar ist. Für die Betriebsstillegung hat es insoweit ausdrücklich ausgeführt:
Die Revision hebt zwar zu Recht die Bedeutung der Berufsgruppen für die weiteren Berufsaussichten der Betroffenen und für etwaige soziale Begleitmaßnahmen hervor. Sie erklärt aber nicht, welche Relevanz die gesonderte Mitteilung der Berufsgruppen deshalb für die Konsultation des Betriebsrats bei einer Stilllegungsplanung haben soll. Dies gilt sowohl bei abstrakter Betrachtung als auch bezogen auf den vorliegenden Fall. Beabsichtigt der Arbeitgeber eine Stilllegung und informiert er den Betriebsrat über die daraus folgende Entlassung aller Arbeitnehmer, besteht für den Betriebsrat kein Zweifel an der Betroffenheit aller Berufsgruppen. Er kann dies seinen Überlegungen und Vorschlägen zu Grunde legen.
Die Information der Agentur für Arbeit dient lediglich deren Vermittlungsaufgaben und kann insoweit keine individuellen Wirkungen im Verhältnis zum Arbeitnehmer entfalten, die es rechtfertigen würden, Folgewirkungen für die Kündigung anzudenken.
In Fall 2 sowie Fall 3 gilt nichts wesentlich Anderes: Sofern dem Betriebsrat klar ist, welche Arbeitnehmer betroffen sind, ist eine fehlerhafte Angabe hinsichtlich der Detailtiefe oder gar eine fehlerhafte Zuordnung irrelevant. Hinsichtlich der Agentur für Arbeit kann die (nicht hinreichend tiefe oder fehlerhafte) Zuordnung mangels Rechtssetzungskompetenz der Bundesagentur und aufgrund des Sinns und Zwecks der Norm ebenfalls nicht zu einer Unwirksamkeit der Kündigung führen. Zur Vermeidung rechtlicher Risiken kann es sich jedoch praktisch betrachtet empfehlen, zumindest (um die Qualifikationsanforderungen mit abgebildet zu haben) den vierstelligen Schlüssel mit aufzunehmen.
Fazit
Fehlende oder fehlerhafte Angaben bei der Zuordnung der Berufsgruppen im Anzeige- oder Konsultationsverfahren sind in der weit überwiegenden Anzahl von Fällen kein Unwirksamkeitsgrund für eine spätere Kündigung. Die Massenentlassungsvorschriften haben jedenfalls insoweit keinen individualschützenden Charakter.
Gute Argumentation. Bleibt die Hoffnung, dass dies dann im Einzelfall der zuständige Sachbearbeiter auch so sieht. Wunschenswerter wäre eine praxistaugliche Überarbeitung des Wortlauts durch den Gesetzgeber, da bei Massenentlassungen eine Rechtsunsicherheit weder den betroffenen Arbeitnehmern, noch dem Arbeitgeber zuzumuten ist.