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Antidiskriminierung Compliance Kirche

EuGH entscheidet maßgeblich zum Kirchenarbeitsrecht („Egenberger“)

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Egenberger

Der Gerichtshof der Europäischen Union (Pressemitteilung Nr. 46/18 vom 17. April 2018) hat in der Rechtssache C-414/16 Vera Egenberger / Evangelisches Werk für Diakonie und Entwicklung e.V. soeben die diskriminierungsrechtlichen Abwägungskriterien auch in Fällen des kirchlichen Arbeitsrechts für unmittelbar anwendbar erklärt.

Maßgebliche Frage der gerichtlichen Kontrolldichte

Besonderer Schwerpunkt der Entscheidung ist die Frage der Kontrolldichte in Deutschland, die nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Oktober 2014 („Chefarzt“) zuletzt verfassungsrechtlich eingeschränkt wurde. Der EuGH stellt demgegenüber fest:

Das Erfordernis, dass Bewerber um eine bei der Kirche zu besetzende Stelle einer bestimmten Religion angehören, muss Gegenstand einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle sein.

Das abzuwägende Erfordernis kann seitens der Kirchen aber weiterhin angesichts des Ethos der Kirche aufgrund der Art der in Rede stehenden beruflichen Tätigkeit oder der Umstände ihrer Ausübung objektiv definiert werden.

Zugrundeliegender Fall

Im zugrundeliegenden Fall hatte Frau Vera Egenberger, die keiner Konfession angehört, sich auf eine vom Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung (Deutschland) ausgeschriebene Stelle für ein Projekt beworben, das die Erstellung eines Berichts zur Beseitigung jeder Form von rassistischer Diskriminierung zum Gegenstand hatte. Das Aufgabengebiet umfasste sowohl die Vertretung der Diakonie Deutschland gegenüber der Politik und der Öffentlichkeit als auch die Koordinierung des internen Meinungsbildungsprozesses. Nach der Stellenausschreibung mussten die Bewerber Mitglied einer evangelischen oder der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland angehörenden Kirche sein. Frau Egenberger wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und letztlich auch nicht eingestellt.


Bestätigung des Selbstbestimmungsrechtes

Das Bundesarbeitsgericht hatte im Vorlagebeschluss ausgeführt, in Deutschland müsse sich die gerichtliche Kontrolle der Einhaltung des Kriteriums „Mitgliedschaft in einer Kirche“ nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Privileg der Selbstbestimmung auf eine Plausibilitätskontrolle auf der Grundlage des glaubensdefinierten Selbstverständnisses beschränken und wollte daher wissen, ob eine solche beschränkte gerichtliche Kontrolle mit der Richtlinie vereinbar ist. Der EuGH hat jetzt zunächst mit Klarheit das Selbstbestimmungsrecht der verfassten Kirchen bestätigt, dieses aber dann diskriminierungsrechtlich in Abwägung zwischen dem Recht auf Autonomie der Kirchen (und der anderen Organisationen, deren Ethos auf religiösen Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht) und dem Recht der Antidiskriminierungsrichtlinie (Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) gestellt. Nach Auffassung des Gerichtshofs ist entscheidend, dass eine solche Abwägung im Fall eines Rechtsstreits von einer unabhängigen Stelle und letztlich von einem innerstaatlichen Gericht überprüft werden kann. Der Gerichtshof stellt insoweit klar, dass es den staatlichen Gerichten nicht zusteht, über das der angeführten beruflichen Anforderung zugrundeliegende Ethos als solches zu befinden. Vielmehr haben sie nur festzustellen, ob die drei Kriterien „wesentlich, rechtmäßig und gerechtfertigt“ in Anbetracht dieses Ethos im Einzelfall erfüllt sind.

Drittwirkungsproblem

Hinsichtlich der Frage, wie die mittelbare Drittwirkung im Verhältnis zur verfassungsrechtlichen Grundordnung steht, behilft sich der EuGH mit einer „Anweisung“ an die nationalen Gerichte, das nationale Recht, mit dem die Richtlinie umgesetzt wird, so weit wie möglich im Einklang mit ihr auszulegen.

Für den Fall, dass es sich als unmöglich erweisen sollte, das einschlägige nationale Recht (hier das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz) im Einklang mit der Antidiskriminierungsrichtlinie – nach ihrer Auslegung im heutigen Urteil des Gerichtshofs – auszulegen, stellt der Gerichtshof klar, dass ein mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen befasstes nationales Gericht das nationale Recht unangewendet lassen muss.

Erste Bewertung

Bei aller Vorsicht wird man sagen können, dass der EuGH das kirchliche Selbstbestimmungsrecht als „Ethos“ bestätigt und als solches der gerichtlichen Kontrolle im Grundsatz entzieht. Die diskriminierungsrechtliche Abwägungsentscheidung setzt darauf auf, wobei sie nicht das „Ethos“ selbst, wohl aber seine Ausgestaltung im Einzelfall nach den Grundsätzen der Berufsbezogenheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit prüft. Kirchenarbeitsrecht bleibt also weiterhin zulässig und zugleich eine Frage der Einzelfallentscheidung. Dem entspricht bereits die jüngere Entwicklung im Bereich der Grundordnungen. Die für Deutschland maßgeblichen verfassungsrechtlichen Vorgaben, wie sie jüngst vom BVerfG noch einmal bestätigt wurden, bleiben im Rahmen der Abwägungsentscheidung weiterhin maßgeblich.

Dr. Burkard Göpfert, LL.M.

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Burkard Göpfert berät vorwiegend in komplexen Transformations-, Integrations- und Umstruk­tu­rie­rungs­pro­jekten sowie bei der Har­mo­ni­sie­rung von Arbeits­be­din­gun­gen. Er ist Autor und (Mit)-Herausgeber zahl­rei­cher Fachbücher zu den Themen Umstruk­tu­rie­rung und Arbeitsrecht sowie Lehr­be­auf­trag­ter an der Universität Passau und leitet seit über 10 Jahren die Jahrestagung „Restrukturierung“ des Han­dels­blatts. Burkard Göpfert ist u.a. Mitherausgeber der ZIP. Er ist Mitglied der Fokusgruppen "Private Equity / M&A" und "ESG". 
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