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Sozialversicherung

EuGH bestätigt Flexi-Rente: Altersgrenze kann hinausgeschoben werden

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Flexi-Rente

Luxemburg hat entschieden: Arbeitnehmer und Arbeitgeber können gemäß § 41 Satz 3 SGB VI einvernehmlich das Ende eines auf die Regelaltersgrenze befristeten Arbeitsvertrags nach hinten verschieben. Besondere Voraussetzungen sind dafür nicht erforderlich. Die Vereinbarung über die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses muss lediglich vor Erreichen der Altersgrenze erfolgen. Der EuGH hat mit einer aktuellen Entscheidung die Vereinbarkeit der deutschen Regelung mit EU-Recht festgestellt. Damit ist die bislang bestehende Rechtsunsicherheit weitgehend beseitigt. Allein der Umgang mit möglichen Missbrauchsfällen bleibt offen.

Unklare Rechtslage in Deutschland

Bislang war die Vereinbarkeit des § 41 Satz 3 SGB VI mit EU-Recht umstritten. Die Regelung lautet:

Sieht eine Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vor, können die Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch mehrfach, hinausschieben.

Da diese nationale Regelung im Hinblick auf die Vorgaben der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG keine zusätzlichen Voraussetzungen  für die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses vorsieht, war sie in weiten Teilen der arbeitsrechtlichen Literatur für europarechtswidrig gehalten worden (vgl. nur den Blog-Beitrag von Dr. Oliver Vollstädt vom 9. Januar 2017). Auch in der Rechtsprechung gab es Zweifel, wie die Vorlagefrage des LAG Bremen an den EuGH zeigt. Wider Erwarten hat der EuGH nunmehr mit seiner Entscheidung vom 28. Februar 2018 (C-46/17) die Regelung des § 41 Satz 3 SGB VI als unionsrechtskonform angesehen.


Sachverhalt der EuGH-Entscheidung

Dem EuGH lag folgender Sachverhalt zur Entscheidung vor: Die Freie Hansestadt Bremen hatte den Kläger 2001 als Lehrer angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis fand § 44 TV-L Anwendung, der auszugsweise wie folgt lautet:

Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Schulhalbjahres (31. Januar bzw. 31. Juli), in dem die Lehrkraft das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersgrenze vollendet hat.

Auf der Grundlage von § 41 Satz 3 SGB VI vereinbarten nun die Vertragsparteien eine Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus bis zum Ende des zweiten Schulhalbjahres 2014/2015 (31. Juli 2015). Im Februar 2015 bat der Kläger sodann um eine erneute Verlängerung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende des ersten Schulhalbjahres 2015/2016 (31. Januar 2016). Dies lehnte die Freie Hansestadt Bremen ab. Daraufhin erhob der Kläger Klage mit der Begründung, die befristete Verlängerung seines Arbeitsverhältnisses sei wegen der Europarechtswidrigkeit von § 41 Satz 3 SGB VI unzulässig. Es bestehe daher ein unbefristetes Arbeitsverhältnis. Aus diesem Anlass legte das LAG Bremen als Berufungsinstanz diese Frage beim EuGH zur Entscheidung vor.

Wesentliche Erwägungen des EuGH

Nach Auffassung des EuGH steht die Regelung des § 41 Satz 3 SGB VI nicht im Widerspruch zu den Vorgaben der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG und stellt auch keinen Verstoß gegen das Verbot der Altersdiskriminierung dar.

Eine mögliche Altersdiskriminierung wird mit pragmatischen Erwägungen vom Tisch gewischt: Die „automatische“ Beendigung von Arbeitsverhältnissen zum Zeitpunkt des Bezugs einer Altersrente sei seit langem Teil des Arbeitsrechts zahlreicher Mitgliedstaaten und daher im Arbeitsleben üblich. Die Regelung des § 41 Satz 3 SGB VI stelle dabei lediglich eine Ausnahme von diesem Grundsatz der rechtmäßigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichen der Altersgrenze dar. Die Eröffnung einer Wahlmöglichkeit zwischen Verlängerung des Arbeitsverhältnisses oder einem Ausscheiden aus dem Berufsleben nach § 41 Satz 3 SGB VI sei für den Arbeitnehmer günstig und vorteilhaft. Bei einer günstigen und vorteilhaften Regelung komme eine Diskriminierung nicht in Betracht. Dies gelte auch, wenn das Ende des Arbeitsverhältnisses ggf. mehrfach und unbegrenzt hinausgeschoben werden könne.

Im Übrigen stehe § 41 Satz 3 SGB VI auch nicht in Widerspruch zur Rahmenvereinbarung der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG. Nach § 5 der Rahmenvereinbarung sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, geeignete Maßnahme zu ergreifen, um den Missbrauch durch aufeinanderfolgend befristete Arbeitsverhältnisse zu vermeiden. Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten alternativ oder kumulativ

  • sachliche Gründe für eine Befristung,
  • die maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge sowie
  • die zulässige Anzahl der Verlängerungen

vorsehen. Die Befristungsrichtlinie wolle mit diesen Vorgaben jedoch eine „Prekarisierung der Lage der betroffenen Arbeitnehmer“ verhindern. Bei Arbeitnehmern, die die Regelaltersgrenze erreicht haben, sei aber nicht davon auszugehen, dass eine Verlängerung zu einer prekären Lage führe, da bereits der Bezug einer abschlagsfreien Rente möglich sei. Insoweit zweifelt der EuGH bereits an einer Einschlägigkeit der europarechtlichen Vorgaben. Jedenfalls könne ein sachlicher Grund im Sinne der Befristungsrichtlinie angenommen werden. Die Arbeitnehmer seien im Vergleich zu jüngeren Arbeitnehmern sozial wesentlich besser abgesichert und stünden angesichts des bevorstehenden Endes ihres Arbeitslebens auch nicht mehr (ernsthaft) vor der Alternative, einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu schließen.

Auswirkungen für die Praxis

Der demographische Wandel und der Fachkräftemangel stellen viele Arbeitgeber vor das Problem, dass rentennahe Arbeitnehmer mit wichtigem Fachwissen nur schwer ersetzt werden können. Mit einer befristeten Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus kann entsprechendes Fachwissen vorübergehend erhalten bleiben. Dies erleichtert es, Nachwuchskräfte zu finden, adäquat anzulernen und das Fachwissen weiterzugeben. Vor diesem Hintergrund ist die Entscheidung des EuGH ausdrücklich zu begrüßen. Vor einer allzu ausgiebigen Nutzung des Instruments des § 41 Satz 3 SGB VI ist jedoch zu warnen. Eine Missbrauchskontrolle ist durch die Entscheidung des EuGH nicht vom Tisch. Im Gegenteil: Der EuGH hat die Möglichkeit einer Missbrauchskontrolle ausdrücklich in die Hände der deutschen Arbeitsgerichte gelegt.

Dr. Oliver Vollstädt 

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Oliver Vollstädt berät Arbeitgeber und Top-Füh­rungs­kräfte in allen Fragen des Arbeits­rechts. Sein besonderes Know-how liegt bei kol­lek­tiv­recht­li­chen Themengebieten mit den Schwer­punkten Restruk­tu­rie­rungsberatung, Ver­hand­lung von Sozi­al­plä­nen und haustariflichen Gestal­tun­gen. Ferner ist Oliver Vollstädt anerkannter Experte in arbeits- und daten­schutz­recht­li­chen Fragen zum Einsatz von IT-Systemen und neuen Medien am Arbeits­platz. Er ist Mitglied der Fokusgruppe "Datenschutz".
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