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Arbeitszeit

EU-Arbeitszeitrichtlinie: Mindeststandards zum wöchentlichen Ruhetag

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Im Rahmen der Koalitionsverhandlungen diskutieren die so genannten Jamaika-Parteien derzeit eine Liberalisierung des geltenden Arbeitszeitgesetzes dergestalt, dass anstelle der jetzt geltenden Höchstarbeitszeit von in der Regel acht Stunden pro Tag eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 48 Stunden pro Woche gelten soll. Damit würde das Arbeitszeitgesetz auf den Standard der EU-Richtlinie herabgesetzt und würde Arbeitgebern und Arbeitnehmern mehr Freiheit und Flexibilität in der betrieblichen und persönlichen Arbeitszeitgestaltung bieten.

Den Charakter der Arbeitszeitrichtlinie der EU 2003/88/EG als Mindeststandard, über den die Mitgliedsstaaten je nach den lokalen Besonderheiten hinaus gehen können, betont auch eine aktuelle Entscheidung des EuGH. Diese betrifft den Grundsatz, dass wenigstens ein Tag pro Woche arbeitsfrei sein soll (EuGH, 09.11.2017, C-306/16). Anders als die Vorgängerversion aus dem Jahr 1993, in welcher der Sonntag als Regelruhetag noch ausdrücklich genannt war, sieht die aktuelle Arbeitszeitrichtlinie (Art. 5, „Wöchentliche Ruhezeit“) lediglich vor, dass die Mitgliedsstaaten erforderliche Maßnahmen zu treffen haben, damit jedem Arbeitnehmer pro „Sieben-Tages-Zeitraum“ eine kontinuierliche Mindestruhezeit von 24 Stunden gewährt wird, im Regelfall zzgl. der täglichen Ruhezeit von 11 Stunden, welche die Richtlinie in Art. 3 für den 24-Stunden-Zeitraum vorsieht. Ein portugiesisches Berufungsgericht hatte dem EuGH die Frage vorgelegt, ob dieser wöchentliche Ruhetag spätestens nach sechs aufeinanderfolgenden Arbeitstagen zu gewähren ist, oder ob er lediglich irgendwann innerhalb eines jeden Sieben-Tages-Zeitraums zu gewähren ist. Der EuGH hat dazu entschieden, dass die Richtlinie lediglich vorgibt, dass nationales Recht vorsehen muss, dass der Ruhetag irgendwann innerhalb eines jeden Sieben-Tages-Zeitraums zu gewähren ist. Das hat zur Folge, dass auf Basis der Richtlinie auch Arbeitseinsätze von bis zu 12 aufeinanderfolgenden Tagen (selbstverständlich unter Beachtung der wöchentlichen Höchstarbeitsgrenze von 48 Stunden) möglich sind.


Erweiterter Schutz durch das Arbeitszeitgesetz

Das deutsche Recht geht über den von der EU-Richtlinie gesetzten Mindeststandard hinaus. Es legt den Sonntag als den regelmäßigen beschäftigungsfreien Wochentag fest (§ 9 Abs. 1 ArbZG). Das ist so im Grundgesetz vorgesehen, wonach der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt bleiben (Art. 139 Weimarer Reichsverfassung, WRV, i.V.m. Art. 140 Grundgesetz, GG). Ähnliche Regelungen sehen die Arbeitszeitgesetze in etwa der Hälfte der EU-Mitgliedsstaaten vor, wie zum Beispiel Belgien, Bulgarien, Dänemark, Irland, Griechenland, Frankreich, Kroatien, Italien. In einer sogenannten Mitteilung zur Auslegungsfragen in Bezug auf die Richtlinie 2003/88/EG hat die europäische Kommission im Frühjahr umfassend zur Auslegung der geltenden Arbeitszeitrichtlinie Stellung genommen. Dabei hat sie zur Auslegung der vor dem EuGH streitigen Frage nach dem wöchentlichen Ruhetag festgestellt, dass die Richtlinie einer nationalen Regelung nicht entgegen stünde, wonach einem Arbeitnehmer die wöchentliche Ruhezeit in einer Woche am Dienstag, in der zweiten Woche am Donnerstag und in der dritten Woche am Sonntag gewährt wird. Es sei daher möglich, den jeweiligen Ruhetag einmal am Anfang und einmal am Ende des Sieben-Tage-Zeitraums zu gewähren, was zu einer kontinuierlichen Arbeitsperiode von bis zu 12 Tagen führen könnte (S. 26, Fußnote 128).

Zahlreiche Ausnahmen

Allerdings sieht auch das deutsche Recht zahlreiche Ausnahmen vom Grundsatz der Sonn- und Feiertagsruhe vor, etwas für Not- und Rettungsdienste, Krankenhäuser oder Gaststätten (§ 10 Abs. 1 Nr. 1-16, ArbZG). Regional unterschiedlich geregelt sind die Ladenöffnungszeiten und damit insbesondere die verkaufsoffenen Sonntage. Während das Berliner Ladenöffnungsgesetz vorsieht, dass die zuständige Senatsverwaltung eine Sonntagsöffnung von Verkaufsstellen an bis zu acht nicht unmittelbar aufeinanderfolgenden Sonn- und Feiertagen vorsehen kann (§ 6 Berliner Ladenöffnungsgesetz) gilt in Bayern das Ladenschlussgesetz des Bundes, wonach eine Sonntag- oder Feiertagsöffnung an jährlich höchstens vier Sonn- und Feiertagen von den Gemeinden festgesetzt werden kann (§ 14 Abs. 1 Bundesladenschlussgesetz).

Fazit

Das deutsche Recht geht im Arbeitszeitgesetz an verschiedenen Stellen über den in der EU-Richtlinie gesetzten Mindeststandard hinaus. Zwar kommt es auch in Deutschland zu einer zunehmenden Flexibilisierung und einer stärkeren Entgrenzung der Bereiche des Privatlebens und des beruflichen Lebens. Aber wenigstens 15 Sonntage im Jahr sind in jedem Fall arbeitsfrei.

Dr. Jessica Jacobi 

Rechtsanwältin
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Partner
Dr. Jessica Jacobi ist seit 2003 Partnerin der Sozietät. Gemeinsam mit ihrem Team berät sie nationale und internationale Arbeitgeber in allen Fragen des deutschen Arbeitsrechts, wie z.B. bei der Reorganisation von Unternehmen, bei Massenentlassungen und in schwierigen Individualstreitigkeiten inklusive interner Ermittlungen. Sie ist ein aktives Mitglied der International Practice Group für Data Privacy bei unserem internationalen Kanzleinetzwerk Ius Laboris und berät häufig z.B. bei der Einführung neuer technischer Systeme und deren Verhandlung mit dem Betriebsrat, bei Auskunftsansprüchen von Arbeitnehmern nach Art. 15 DS-GVO und bei internationalen Datenübertragungen. Sie ist Autorin einer Vielzahl von Veröffentlichungen und tritt regelmäßig als Referentin auf. Sie ist Mitglied der Fokusgruppe "Datenschutz".
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