In einer aktuellen Entscheidung setzte sich der EuGH mit der Frage auseinander, inwieweit der Arbeitgeber bei einem Arbeitsverhältnis mit grenzüberschreitendem Bezug die örtliche Zuständigkeit der Gerichte, die für Streitigkeiten aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung ausschließlich zuständig sein sollen, auf den Mitgliedsstaat seines Sitzes beschränken kann (EuGH, Urteil vom 14.09.2017 – C-169/16 ). Hier stellte der EuGH deutlich fest: Arbeitnehmer müssen stets die Möglichkeit haben, Arbeitgeber im Land ihres gewöhnlichen Arbeitsorts zu verklagen.
Was war geschehen?
Die irische Fluggesellschaft Ryanair vereinbarte mit ihrem spanischen Mitarbeiter Moreno Osacar im April 2008, dass dieser als Mitglied der Kabinencrew u.a. für die Sicherheit, Betreuung, Unterstützung und Kontrolle der Fluggäste an Bord eines in Irland eingetragenen Flugzeuges tätig sein solle. Als Heimatbasis sah der Vertrag den belgischen Flughafen Charleroi vor. Herr Osacar hatte sich daher nicht weiter als eine Stunde von diesem Flughafen entfernt niederzulassen. Tatsächlich begann und beendete Herr Osacar auch jeden Arbeitstag am Flughafen Charleroi. Er war zudem gelegentlich gezwungen, dort in Bereitschaft zu verbleiben, um ein möglicherweise ausfallendes Besatzungsmitglied ersetzen zu können. Aufgrund der irischen „Staatszugehörigkeit“ des Flugzeuges, es war in Irland registriert, war außerdem vereinbart, dass Osacars Arbeitsleistung als in Irland erbracht anzusehen sein sollte. Infolge dessen sollten für Streitigkeiten zwischen den Vertragsparteien aus dem Arbeitsvertrag die irischen Gerichte ausschließlich zuständig sein.
Herr Osacar kündigte schließlich im Juni 2011. Er erhob vor einem belgischen Gericht Klage gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber Ryanair und beantragte dessen Verurteilung auf Zahlung verschiedener Entschädigungen. Das belgische Arbeitsgericht erster Instanz hielt sich aufgrund der vertraglich vereinbarten Zuständigkeit irischer Gerichte für unzuständig und wies die Entschädigungsklage zurück. In zweiter Instanz sah das Berufungsgericht maßgeblich Fragen des europäischen Rechts betroffen und rief daher den EuGH zur Beurteilung der Wirksamkeit der getroffenen Vereinbarung über den Gerichtstand an.
Dieser entschied, dass die getroffene Vereinbarung nicht mit europäischem Recht vereinbar ist und sie dem Arbeitnehmer daher nicht entgegen gehalten werden kann.
Gerichtliche Zuständigkeit nach europäischen Recht
Für Vereinbarungen über die Gerichtszuständigkeiten bei Arbeitsverhältnissen mit grenzüberschreitendem Bezug ist die sogenannte Brüssel – I – Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen, VO (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 (im Folgenden Brüssel I VO) zu beachten. In dieser finden sich Regelungen darüber, in welchem Mitgliedsstaat Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedsstaates innehaben, aber in einem anderen ansässig sind, zu verklagen sind. Im Hinblick auf Rechtsstreitigkeiten im Rahmen von Arbeitsverhältnissen treffen die Art. 18 ff. der Brüssel I VO Sonderregelungen. Hiernach kann ein Arbeitgeber im Mitgliedsstaat seines Sitzes verklagt werden, vgl. Art. 19 Nr. 1 der Brüssel I VO. Dem Arbeitnehmer ist es aber auch erlaubt, den Arbeitgeber in dem europäischen Mitgliedsstaat zu verklagen, in welchem er gewöhnlich seine Arbeit verrichtet und zwar auch dann, wenn dieser Mitgliedsstaat vom Sitz des Arbeitgeber verschieden ist, vgl. Art. 19 Nr. 2 lit. a der Brüssel I VO.
Diese Regelung entfaltet nach Auffassung des EuGH einen besonderen Schutz für die schwächere Partei des Arbeitsvertrages: den Arbeitnehmer. Denn sie soll es dem Arbeitnehmer ermöglichen, seinen Arbeitgeber dort zu verklagen, wo es für ihn am günstigsten ist (13. Erwägungsgrund der Brüssel I VO), also vor demjenigen Gericht, welches ihm seiner Ansicht nach am nächsten steht (vgl. EuGH, Urteil vom 14.09.2017 – C-169/16, Rn.50 ).
Abweichende Vereinbarung über die örtliche Zuständigkeit
Nach Art. 21 der Brüssel I VO ist es indes möglich eine von diesem Grundsatz abweichende Regelung zu treffen. Unproblematisch ist dies stets dann, wenn eine Streitigkeit zwischen den Parteien bereits entstanden ist, der Gerichtsstand also nachträglich in Kenntnis aller Umstände vereinbart wird, vgl. Art. 21 Nr. 1 Brüssel I VO. Eine hierzu vergleichbare Regelung findet sich im Übrigen auch im deutschen Zivilprozessrecht, vgl. § 38 Abs. 3 Nr. 1 ZPO.
Darüber hinaus kann der Arbeitgeber es dem Arbeitnehmer nach Art. 21 Nr. 2 Brüssel I VO ermöglichen, andere als die in dieser Verordnung bestimmten Gerichtsstände anzurufen. Eine solche Vereinbarung darf dem Arbeitnehmer allerdings nicht die nach der Brüssel I VO ohnehin eröffnete Rechtsforen verwehren, (EuGH, Urteil vom 19.07.2012 – C-154/1). Denn dies würde den Zielen der Verordnung zuwiderlaufen, den Arbeitnehmer als schwächere Vertragspartei zu schützen. Deshalb ist eine vor Entstehen einer Streitigkeit getroffene Gerichtsstandsvereinbarung nur dann zulässig, wenn sie dem Arbeitnehmer zusätzliche Gerichtsstände eröffnet.
Diesem Maßstab wird die von Ryanair gewählte Regelung über den Gerichtsstand nicht gerecht, denn sie wurde nicht nur bereits vor Entstehung etwaiger Streitigkeiten getroffen, sondern nahm dem Arbeitnehmer auch die Möglichkeit, seinen Arbeitgeber in dem Mitgliedsstaat zu verklagen, in welchem er seinen gewöhnlichen Arbeitsort hatte: Belgien.
Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes
Hierzu erläuterte der EuGH, dass der Gerichtsstand des gewöhnlichen Arbeitsortes durch die nationalen Gerichte unter Abwägung aller ermittelter Indizien zu bestimmen ist. Da Herr Osacar als Mitglied des Kabinenpersonals eines Flugzeuges täglich nationale Grenzen überschritt, konnte es freilich nicht darauf ankommen, welches Land seine Maschine überwiegend überflog. Vielmehr ist im Luftverkehrssektor entscheidend, von welchem Ort aus der Arbeitnehmer den wesentlichen Teil seiner Verpflichtungen erfüllt.
Nach dieser indiziengestützten Methode ist daher maßgeblich, von wo aus der Arbeitnehmer seine Dienste erbringt, wo er seine Anweisungen erhält und seine Arbeit organisiert bzw. sich seine Arbeitsmittel befinden und wohin er nach verrichteter Arbeit zurückkehrt (EuGH, Urteil vom 14.09.2017 – C-169/16, Rn.63). Irrelevant ist dagegen die „Staatszugehörigkeit“ des Flugzeuges. Auch die vertraglich gewählte Heimatbasis ist ein wichtiges Indiz zur Bestimmung des gewöhnlichen Arbeitsortes. Daneben stellte der EuGH aber fest, dass der Begriff des gewöhnlichen Arbeitsortes nicht mit dem Begriff der „Heimatbasis“ in einer die Zivilluftfahrt betreffenden Unionsverordnung gleichgesetzt werden kann, vgl. Anhang III zur VO 3922/91. Beide Regelungsakte verfolgen unterschiedliche Regelungsziele und stehen daher autonom nebeneinander.
Im Ergebnis konnte daher an der Zuständigkeit der belgischen Gerichte kein Zweifel mehr bestehen, da Herr Osacar – mit Ausnahme der „Staatszugehörigkeit“ seines Flugzeuges – schlicht keinen Bezug zumMitgliedsstaat Irland hatte.
Praxishinweise
Bei einer Gerichtsstandsvereinbarung mit einem Arbeitnehmer, der eine grenzüberschreitende Tätigkeit ausübt, ist daher stets zu beachten, in welchem Land dieser schwerpunktmäßig tätig ist, denn in diesem Land wird der Arbeitnehmer stets Klage erheben können. Ein entsprechender Ausschluss kann dem Arbeitnehmer nicht entgegengehalten werden.