open search
close
Weisungsrecht

Unbillige Arbeitgeberweisungen: Und sie sind doch unverbindlich!

Print Friendly, PDF & Email
Weisungsrecht

Arbeitgeberweisungen müssen billigem Ermessen entsprechen. Hat der Arbeitnehmer auch einer unbilligen Weisung zunächst Folge zu leisten, bis die Rechtmäßigkeit der Weisung gerichtlich geklärt ist? So in der Tat der 5. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Jahr 2012. Diese Rechtsprechung hat der 5. Senat jetzt auf Anfrage des 10. Senats aufgegeben (Pressemitteilung Nr. 37/17). Doch auch nach dieser Rechtsprechungsänderung will die Nichtbefolgung einer als unbillig empfundenen Weisung wohl überlegt sein. Das Risiko eines Rechtsirrtums über die Billigkeit einer Weisung liegt nämlich beim Arbeitnehmer. Bei Nichtbefolgung einer Weisung riskiert er arbeitsrechtliche Sanktionen bis hin zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

Bisherige Rechtsprechung des 5. Senats

Nach § 106 Satz 1 Gewerbeordnung (GewO) müssen Weisungen des Arbeitgebers billigem Ermessen entsprechen. Sind Arbeitgeber und Arbeitnehmer unterschiedlicher Auffassung über die Berechtigung einer Arbeitgeberweisung, stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer der Weisung gleichwohl zunächst Folge leisten muss, bis die Billigkeit und damit die Rechtmäßigkeit der Weisung gerichtlich geklärt ist. Muss der Arbeitnehmer z.B. eine Versetzungsanordnung vorläufig befolgen, auch wenn er sie aufgrund der höheren Entfernung zwischen Wohnort und neuer Arbeitsstätte für unbillig hält?

Diese Auffassung hat in der Tat der 5. Senat des BAG in seiner Grundsatzentscheidung vom 22.02.2012 (Az. 5 AZR 249/11) vertreten. Aufgrund der das Arbeitsverhältnis prägenden Weisungsgebundenheit sei der Arbeitnehmer vorläufig an die Weisung des Arbeitgebers gebunden, bis deren Unverbindlichkeit durch rechtskräftiges Urteil festgestellt sei. Eine unbillige Weisung sei nicht nichtig, sondern gemäß § 315 Abs. 3 Satz 1 BGB nur unverbindlich. Der Arbeitnehmer dürfe sich über die Weisung, sofern sie nicht aus anderen Gründen unwirksam sei, nicht einfach hinwegsetzen. Vielmehr müsse er gemäß § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB die Gerichte anrufen, wenn er die Weisung nicht befolgen wolle.


„Rolle rückwärts“ des 5. Senats

Die Rechtsprechung des 5. Senats des BAG ist verbreitet auf Kritik gestoßen. So hat das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm der Klage eines Arbeitnehmers stattgegeben, welcher (u.a.) die gerichtliche Feststellung der Unwirksamkeit einer unbilligen Versetzung begehrte. Das LAG Hamm gab ihm recht: Der Kläger habe die unbillige Versetzung nicht befolgen müssen. Nach § 106 Satz 1 GewO und § 315 Abs. 1 Satz 1 BGB müsse die Weisung billigem Ermessen entsprechen. Eine unbillige Weisung begründe keine gesetzliche „Folgepflicht“. Der Arbeitnehmer dürfe daher nicht als „Gestaltungsopfer“ einseitig belastet und verpflichtet werden, die Weisung zunächst einmal zu befolgen und eine gerichtliche Klärung der Unverbindlichkeit einer unbilligen Weisung herbeizuführen (Urt. v. 17.03.2016 – 17 Sa 1660/15).

Der 10. Senat des BAG hat sich der Auffassung des LAG Hamm angeschlossen. Die Ausübung des Weisungsrechts solle nicht in einem „Über- oder Unterordnungsverhältnis“, sondern in einem „eher partnerschaftlichen Miteinander“ erfolgen. Mit einer solchen Zielrichtung sei es nicht vereinbar, einen Arbeitnehmer sanktionsbewehrt an unbillige Weisungen zu binden. Das Risiko der Unbilligkeit einer Weisung dürfe nicht auf den Arbeitnehmer abgewälzt werden (Beschl. v. 14.06.2017 – 10 AZR 330/16).

Der 5. Senat des BAG hat sich nun der Kritik gebeugt und durch Beschluss vom 14.09.2017 (Az. 5 AS 7/17) mitgeteilt, dass er an seiner Rechtsauffassung von 2012 nicht mehr festhält (Pressemitteilung Nr. 37/17).

Und was folgt daraus jetzt?

Aus Arbeitgebersicht ist die Kehrtwende des 5. Senats keine gute Nachricht. Arbeitgeber können sich nicht mehr darauf verlassen, dass ihre Weisungen in jedem Fall zunächst einmal zu befolgen sind und eine „Selbsthilfe“ des Arbeitnehmers wegen Arbeitsverweigerung zur Streichung der Vergütung, zur Erteilung einer Abmahnung oder gar zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigt. Das Leistungsbestimmungsrecht ist – wie es der 10. Senat des BAG plakativ formuliert hat – keine „Spielwiese für trennungswillige Arbeitgeber“.

Allerdings dürften die Auswirkungen der Rechtsprechungsänderung in der Praxis weniger gravierend sein, als es auf den ersten Blick erscheinen mag: Das Risiko eines Rechtsirrtums über die Billigkeit einer Weisung liegt nämlich beim Arbeitnehmer. Verweigert er die Befolgung einer von ihm als unbillig empfundenen Weisung und stellt sich nachträglich im Rechtsstreit über die deshalb vom Arbeitgeber verhängte Sanktion die Rechtmäßigkeit der Weisung heraus, hat die Sanktion zu Lasten des Arbeitnehmers Bestand.

Will der Arbeitnehmer auf „Nummer sicher“ gehen, sollte er daher auch weiterhin zunächst eine gerichtliche Klärung – gegebenenfalls im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes – anstreben, bevor er die Befolgung einer Weisung verweigert. Dies kommt etwa bei einer Versetzung in Betracht. Bei den allermeisten, unmittelbar zu befolgenden Weisungen des betrieblichen Alltags („Pack mal mit an!“) wird das Instrument einer vorherigen gerichtlichen Klärung allerdings schon aus praktischen Gründen regelmäßig ausscheiden.

Dr. Christoph Bergwitz

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Counsel
Christoph Bergwitz unterstützt Arbeit­ge­ber ins­be­son­dere bei Fragen des Arbeit­neh­mer­da­ten­schut­zes, im Rahmen von Umstruk­tu­rie­rungs­pro­jekten sowie beim Schutz vor wett­be­werbs­wid­ri­gem Verhalten durch Arbeit­neh­mer. Darüber hinaus berät Christoph Bergwitz Füh­rungs­kräfte und Organ­mit­glie­der.
Abonnieren Sie den kostenfreien KLIEMT-Newsletter.
Jetzt anmelden und informiert bleiben.

 

Die Abmeldung ist jederzeit möglich.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert