In jüngster Zeit ist die Hinterbliebenenversorgung durch Entscheidungen von BAG und EuGH zu altersabhängigen Spätehenklauseln (siehe hierzu) wieder vermehrt in den Fokus der arbeitsrechtlichen Öffentlichkeit gerückt. Nunmehr setzt das BAG in seinem Urteil vom 21.2.2017 (3 AZR 297/15) noch einen drauf: Nach Auffassung des Betriebsrentensenats soll die Beschränkung einer Hinterbliebenenversorgung auf die „jetzige“ Ehefrau des Arbeitnehmers wegen unangemessener Benachteiligung unzulässig sein. Neben Spätehenklauseln, die die Versorgungsberechtigung des Ehegatten an ein bestimmtes Höchstalter des Arbeitnehmers zum Zeitpunkt der Eheschließung knüpfen, ist damit eine weitere Möglichkeit des Arbeitgebers zur Risikobegrenzung im Bereich der Hinterbliebenenversorgung vom BAG „kassiert“ worden.
Die Entscheidung des BAG vom 21.2.2017
In dem vom BAG zu entscheidenden Fall war dem Kläger im Jahr 1983 von seinem damaligen Arbeitgeber eine Versorgungszusage erteilt worden. Zur Hinterbliebenenversorgung der Ehefrau enthielt die Versorgungszusage folgende Klausel:
„Nach Ihrem Tode erhält Ihre jetzige Ehefrau eine lebenslängliche Witwenrente unter der Voraussetzung, dass die Ehe zwischenzeitlich nicht geschieden wird. Die Witwenrente beträgt 60,0 % der Ihnen im Zeitpunkt des Todes zustehenden Alters- bzw. Invalidenrente. Die Witwenrente erlischt bei Wiederverheiratung der Witwe.“
Der Kläger war zum Zeitpunkt der Versorgungserteilung verheiratet. Die Ehe wurde in der Folge allerdings geschieden und der Kläger heiratete nach seinem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis erneut. Er begehrte nunmehr die Feststellung, dass seiner neuen Ehefrau ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nach der Versorgungsordnung zustehe.
Im Ergebnis wies das BAG die Klage zwar ab, ging jedoch – anders als noch die Vorinstanzen – von einer Unwirksamkeit der vertraglichen Begrenzung der Witwenrente auf die jetzige (d.h. die zum Zeitpunkt der Versorgungszusage aktuelle) Ehefrau aus. Das BAG bewertete diese Einschränkung als unangemessene Benachteiligung des Klägers und strich im Wege des Blue-Pencil-Tests das Wort „jetzige“ aus der Klausel heraus. Die auf diese Weise erweiterte Klausel legte es anschließend – ausnahmsweise – ergänzend dahin aus, dass nur während des Arbeitsverhältnisses geheiratete Personen erfasst seien. Da die Ehe mit der zweiten Frau erst nach dem Ausscheiden des Klägers aus dem Arbeitsverhältnis geschlossen wurde, stehe dieser ein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung nicht zu. Dabei stützt das BAG seine in der Herleitung durchaus verblüffende Entscheidung im Wesentlichen auf folgende Erwägungen:
„Jetzige Ehefrau“ = Ehefrau zum Zeitpunkt der Versorgungserteilung
Im Rahmen der Auslegung der Klausel beschäftigte sich das BAG zunächst mit der Frage, wer mit „jetziger Ehefrau“ im Sinne der Versorgungszusage gemeint sei. Dabei kommt es – wenig überraschend – zu dem Ergebnis, dass nur die Ehefrau gemeint sein könne, mit der der Kläger im Zeitpunkt der Versorgungserteilung verheiratet war.
Vertragstypik der Hinterbliebenenversorgung
Unter Zugrundlegung dieses Auslegungsergebnisses geht das BAG sodann der Frage nach, ob die Klauselgestaltung den Kläger nach den Geboten von Treu und Glauben im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt. Doch wie kommt das BAG überhaupt zu einer Inhaltkontrolle? Diese ist nach § 307 Abs. 3 BGB nämlich nur dann vorzunehmen, wenn die Klausel von Rechtsvorschriften abweicht oder diese ergänzt, wofür vorliegend auf den ersten Blick nicht viel spricht. Insoweit bedient sich das BAG eines bemerkenswerten Kunstgriffs: Zunächst führt es in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BGH aus, dass eine Abweichung von Rechtsvorschriften auch in der für den Vertragspartner nachteiligen Einschränkung wesentlicher Rechte und Pflichten liegen könne, die sich aus der jeweiligen Natur des Vertrages (Vertragstypik) ergeben. Vertragstypisch für eine Hinterbliebenenversorgung i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG sei es aber, dass eine bestimmte Kategorie von Personen, die in einem Näheverhältnis zum Versorgungsberechtigten stehen, für den Fall des Versterbens des Arbeitnehmers abgesichert werde (z.B. Lebens- bzw. Ehepartner zum Zeitpunkt des Ablebens oder Kinder). Erfolge eine Zusage nicht an diesen abstrakt bestimmten, „vertragstypischen“ Personenkreis, sondern werde der Kreis der Hinterbliebenen weiter eingeschränkt (z.B. auf die jetzige Ehefrau), so liege eine Abweichung im Sinne des § 307 BGB vor, mit der Folge, dass eine Inhaltskontrolle durchzuführen sei.
Rechtlich geschütztes Interesse des Arbeitnehmers – Versorgung der nicht geschiedenen Ehefrau
Da der Arbeitnehmer ein rechtlich geschütztes Interesse daran habe, dieses typisierte Interesse an der Versorgung seiner im Zeitpunkt des Versterbens aktuellen Ehefrau abzusichern, benachteilige ihn die streitgegenständliche Klausel unangemessen. Denn die Einschränkung auf die zum Zeitpunkt der Versorgungserteilung aktuelle Ehefrau versage dem Arbeitnehmer bei einer späteren Wiederverheiratung letztlich den Schutz der Versorgungszusage.
Kein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers
Diesem Interesse des Arbeitnehmers stehen nach Auffassung des BAG keine billigenswerten Belange des Arbeitgebers gegenüber Der Arbeitgeber habe zwar grundsätzlich ein berechtigtes Interesse daran, sein mit der Zusage einer Hinterbliebenenversorgung einhergehendes finanzielles Risiko zu begrenzen. Das BAG meint jedoch, die vorliegende Einschränkung orientiere sich nicht an derartigen finanziellen Risikoerwägungen. Vielmehr beziehe sie sich auf bloße Zufälligkeiten und hänge von der persönlichen Lebensführung des Arbeitnehmers ab. Es werde mithin auf rein private Gesichtspunkte abgestellt, die eine dem Interesse des Arbeitgebers dienende Regelung nicht rechtfertigen könnten.
Ergänzende Vertragsauslegung nach Streichung des Wortes „jetzige“
Wegen unangemessener Benachteiligung sei das Wort „jetzige“ in der Klausel zu streichen. Die dann verbleibende Regelung lautet mithin:
„Nach Ihrem Tode erhält Ihre jetzige Ehefrau eine lebenslängliche Witwenrente unter der Voraussetzung, dass die Ehe zwischenzeitlich nicht geschieden wird.“
Dementsprechend müsse die Hinterbliebenenversorgung nach dem Tode des Klägers an seine „neue“ Ehefrau gezahlt werden, sofern diese Ehe zwischenzeitlich nicht geschieden worden ist.
Nach Auffassung des BAG führt die Streichung des Wortes „jetzige“ im entschiedenen Fall jedoch zu einer unzumutbaren Härte für den Arbeitgeber. Denn mit der Erweiterung der Klausel wäre der Arbeitgeber sämtlichen Versorgungsrisiken ausgesetzt, die mit einer späteren Eheschließung verbunden sind. Die Klausel würde auch Ehen erfassen, die lange nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis oder dem Eintritt des Versorgungsfalls oder mit viel jüngeren Ehefrauen geschlossen werden. Die Belastung des Arbeitgebers mit solchen wirtschaftlichen Risiken stelle eine unzumutbare Härte dar, weil die Klausel vor Einführung des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 1.1.2002 gestellt worden und die Rechtslage damals unklar gewesen sei. Die durch die Rechtsunwirksamkeit der vereinbarten Klausel in der Versorgungszusage entstandene Lücke müsse daher ausnahmsweise im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dahingehend geschlossen werden, dass nur während des Arbeitsverhältnisses geheiratete Personen erfasst sind.
Fazit:
Eine Begrenzung der Hinterbliebenenversorgung auf die „jetzige“ Ehefrau ist wegen unangemessener Benachteiligung des Arbeitnehmers unwirksam. Die Unwirksamkeit führt zur Streichung des Wortes „jetzige“ und damit zu einer Ausweitung des Anspruchs auf die zum Zeitpunkt des Versterbens mit dem Arbeitnehmer verheiratete Ehefrau.
Dabei sind grundsätzlich auch Ehen erfasst, bei denen der neue Partner deutlich jünger ist oder die lange nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis oder dem Eintritt des Versorgungsfalls geschlossen wurden. Eine Ausnahme gilt nur, sofern die entsprechende Klausel vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am 1.1.2002 vereinbart wurde. Dann ist eine einschränkende Auslegung möglich.
Ob die in der Praxis vielfach anzutreffende Beschränkung des Hinterbliebenenkreises auf einen namentlich genannten Ehepartner ebenfalls eine unangemessene Benachteiligung darstellt, hatte das BAG nicht zu entscheiden; die Frage bleibt mithin einstweilen offen. Da sich die Argumentation des BAG durchaus auch auf diese Fallgestaltung übertragen ließe, ist auch bei derartigen Klauseln nunmehr Vorsicht geboten. Arbeitgeber tun mithin gut daran, ihre Versorgungszusagen regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen und etwaige durch Rechtsprechungs- oder Gesetzesänderungen entstandene Risiken durch rechtzeitige Vertragsanpassung zu minimieren.