Neben dem laufenden Arbeitsentgelt gewährte Sonderzahlungen sind im Arbeitsleben weit verbreitet. Für ihre rechtliche Einordnung ist entscheidend, ob durch die Sonderzahlung die geleistete Arbeit vergütet, ausschließlich die Betriebstreue entlohnt oder ob beide Zwecke gleichzeitig verfolgt werden sollen.
Wie aber sind Sonderzahlungen in der Insolvenz zu behandeln? Das Bundesarbeitsgericht hat jüngst in einem für die Sanierungspraxis besonders wichtigen Bereich Rechtssicherheit geschaffen (Urt. v. 23.3.2017, 6 AZR 264/16).
Anzeige der Masseunzulänglichkeit („Insolvenz in der Insolvenz“)
Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens führt aus Gläubigersicht zu einer „Zwei-Klassen-Gesellschaft“: Zunächst werden die sog. Masseverbindlichkeiten befriedigt. Hierzu zählen die Kosten des Insolvenzverfahrens und die Vergütungsansprüche des Insolvenzverwalters (§ 54 InsO). Daneben sind Masseverbindlichkeiten u.a. alle Forderungen, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründet werden bzw. Forderungen aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss (§ 55 InsO).
Erst nach Erfüllung aller Masseverbindlichkeiten werden die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Forderungen (sog. Insolvenzforderungen, § 38 InsO) aus der verbliebenen Masse befriedigt.
Eine solche Aufspaltung in „gute“ und „schlechte“ Forderungen erfolgt aber auch dann, wenn die Insolvenzmasse bereits nicht mehr zur Erfüllung aller Masseverbindlichkeiten ausreicht. Dann tritt die sog. Masseunzulänglichkeit („Insolvenz in der Insolvenz“) ein, § 208 Abs. 1 InsO. Ab diesem Zeitpunkt sind die Neumasseverbindlichkeiten gegenüber den vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstandenen Altmasseverbindlichkeiten vorrangig zu berichtigen (§ 209 InsO).
Diese insolvenzrechtliche Rangordnung soll die Handlungsfähigkeit des Insolvenzverwalters zugunsten der verbleibenden Masse sicherstellen: Neue Gläubiger wären kaum bereit, Vertragsbeziehungen mit der sich im Zustand der Masseunzulänglichkeit befindenden Gesellschaft einzugehen, wenn sie nicht vorrangig vor den Altgläubigern befriedigt würden.
Zeitanteilige Bewertung auch bei reinen Treueprämien
Im vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall erhielt der Kläger von der Arbeitgeberin jeweils im Dezember eine Sonderzahlung in Höhe von einem Bruttomonatsgehalt. Im Mai 2014 wurde die Arbeitgeberin insolvent. Ende Oktober 2014 zeigte der Sachwalter die Masseunzulänglichkeit an. Der Kläger erhielt im Dezember 2014, also nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit, eine Sonderzuwendung in Höhe von lediglich 2/12 seines Bruttomonatsgehaltes.
Vor dem Arbeitsgericht klagte er weitere 10/12 ein. Das Arbeitsgericht gab der Klage statt: Die Sonderzahlung sei eine Neumasseverbindlichkeit im Sinne von § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO und deshalb vor den sog. Altmasseverbindlichkeiten zu befriedigen. Sie honoriere ausschließlich die Betriebstreue und nicht die Arbeitsleistung. Deshalb sei der Anspruch auf die Sonderzahlung erst mit Erreichen des Stichtages im Dezember 2014, also nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit entstanden. Während das Landesarbeitsgericht Düsseldorf (Urt. v. 12.2.2016, 12 Sa 1051/15) die erstinstanzliche Entscheidung des Arbeitsgerichts Düsseldorf bestätigte, sah das Bundesarbeitsgericht in der Sonderzahlung eine Altmasseverbindlichkeit: Sonderzuwendungen begründeten nur für Zeiträume geleisteter Arbeit nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit Neumasseverbindlichkeiten i.S.d. § 209 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 3 InsO. Dies gelte unabhängig vom Zweck der Sonderzuwendung. Auch bei reinen Treueprämien sei eine Betrachtung „pro rata temporis“ vorzunehmen: Nur sofern die Treueprämie für Zeiträume nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit geleistet werde, handele es sich um eine Neumasseverbindlichkeit.
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts mag auf den ersten Blick überraschen: Denn Treueprämien entstehen gerade nicht „pro rata temporis“, sondern erst mit Erreichen des Stichtages. Dennoch ist die Entscheidung wertungsmäßig überzeugend. Die Begünstigung der Neumassegläubiger gemäß § 209 InsO soll dem Insolvenzverwalter ermöglichen, auch nach Anzeige der Massenunzulänglichkeit die Masse anzureichern, um so die Chancen für eine erfolgreiche Sanierung zu erhöhen. Jahressonderzuwendungen, die Betriebstreue aus der Zeit vor Anzeige der Masseunzulänglichkeit honorieren, reichern die Masse nicht an, sondern belasten sie nur zusätzlich.
Behandlung von Urlaubsansprüchen bei Masseunzulänglichkeit
Die Entscheidung kann als konsequente Fortführung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Behandlung von Urlaubsansprüchen bei Masseunzulänglichkeit (Urt. v. 21.1.2006, 9 AZR 97/06) verstanden werden. Denn auch hier entschied das Bundesarbeitsgericht, der geldwerte Vorteil der Urlaubsansprüche sei ins Verhältnis zur Dauer der nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit erbrachten Arbeitsleistung zu setzen. Urlaubsentgeltansprüche seien deshalb nur anteilig als Neumasseverbindlichkeiten zu berichtigen.
Einordnung einer Sonderzuwendung als Masse- bzw. Insolvenzforderung
Für die Einordnung einer Sonderzuwendung als Masse- oder Insolvenzforderung ist dagegen auch weiterhin der Zweck der Sonderzahlung entscheidend, wie das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich bestätigt hat. Sonderzuwendungen, die die Arbeitsleistung vergüten, sind insoweit Masseverbindlichkeiten, als die zu honorierende Arbeitsleistung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht wurde. Treueprämien, die nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses, nicht aber die Arbeitsleistung honorieren, sind Masseverbindlichkeiten, wenn der Stichtag in die Zeit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens fällt.
Praktische Auswirkungen
Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist zu begrüßen. Sie gibt dem Praktiker klare Maßstäbe für die Behandlung von Sonderzahlungen bei Masseunzulänglichkeit an die Hand. Die zeitanteilige Bewertung von Sonderzuwendungen schützt die Insolvenzmasse vor zusätzlichen Belastungen durch aufgelaufene Prämienansprüche. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass Treueprämien für in der Sanierung eingesetzte Mitarbeiter erheblich an Attraktivität verlieren dürften. Denn bei drohender Masseunzulänglichkeit müssen Arbeitnehmer mit einem (anteiligen) Ausfall ihrer Prämienansprüche rechnen.