Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 15.12.2016 (8 AZR 612/15) zeigt einmal mehr wie wichtig es ist, im Rahmen eines Betriebsüberganges nach § 613a BGB Haftungsrisiken zu identifizieren und zu verteilen. Auch nach dieser Entscheidung sind Arbeitnehmer über eine etwaig beim Erwerber bestehende Sozialplanprivilegierung zu informieren. Unterbleibe ein solcher Hinweis, sei die Information unvollständig. Wie und – erstmalig – wie lange sich diese fehlerhafte Unterrichtung auswirkt, zeigt das aktuelle Urteil des BAG.
Das Widerspruchsrecht der Arbeitnehmer
Nach § 613a Abs. 6 S. 1 BGB können Arbeitnehmer binnen eines Monats nach Unterrichtung über den Betriebsübergang dem Übergang ihrer Arbeitsverhältnisse auf den Erwerber in Textform widersprechen; mit der Folge, dass deren Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber fortbesteht. Unterbleibt eine Unterrichtung der Arbeitnehmer, beginnt die Widerspruchsfrist nicht zu laufen, so dass Arbeitnehmer noch lange Zeit nach einem Betriebsübergang ihr Widerspruchsrecht ausüben können. Dies gilt jedoch nicht nur bei völligem Unterbleiben einer Unterrichtung, sondern auch bei unvollständiger oder sonst fehlerhafter Unterrichtung. Das BAG hat erneut (vgl. schon Urteil vom 14.11.2013 – 8 AZR 824/12 -) entschieden, dass eine Information über einen Betriebsübergang auch dann unvollständig ist, wenn den betroffenen Arbeitnehmern nicht explizit mitgeteilt wird, dass der neue Inhaber ein Unternehmen in den ersten vier Jahren seiner Gründung ist, bei dem der Abschluss eines Sozialplans im Falle einer Betriebsänderung nicht erzwungen werden kann, § 112a Abs. 2 S. 1 BetrVG.
Aus Sicht von Veräußerern und Investoren zeigt diese Entscheidung einmal mehr, welche Risiken und langfristigen Rechtsfolgen sich aus einem Betriebsübergang und der Information der Belegschaft ergeben können. Die Entscheidung verdeutlicht die Notwendigkeit, sich frühzeitig mit Haftungsfragen im Zusammenhang mit einem Betriebsübergang auseinander zu setzen sowie Vereinbarungen zu treffen, um die Umsetzung eines Betriebsübergangs zu gewährleisten.
Worüber muss der Arbeitgeber unterrichten und warum?
Nach § 613a Abs. 5 BGB müssen bisheriger oder künftiger Arbeitgeber unterrichten über
- den Zeitpunkt oder den geplanten Zeitpunkt des Übergangs,
- den Grund für den Übergang,
- die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergangs für die Arbeitnehmer und
- die hinsichtlich der Arbeitnehmer in Aussicht genommenen Maßnahmen.
In seiner Entscheidung hat das BAG herausgearbeitet, dass die Information der Arbeitnehmer über diese Punkte den Zweck verfolgt, den Arbeitnehmern eine ausreichende Wissensgrundlage zu vermitteln, auf deren Basis die Arbeitnehmer weiteren Rat einholen oder über ihr Widerspruchsrecht disponieren können. Hierzu gehöre wegen deren wirtschaftlicher Bedeutung auch die Information über die sog. Sozialplanprivilegierung junger Unternehmen in den ersten vier Jahren ihrer Gründung. Das Sozialplanprivileg könne eine erhebliche Einschränkung der wirtschaftlichen Absicherung der Arbeitnehmer bedeuten, über die explizit zu informieren sei.
Enthalte die Information der Arbeitnehmer keinen entsprechenden Hinweis, beginne die einmonatige Widerspruchsfrist der Arbeitnehmer gegen den Betriebsübergang erst dann und damit unter Umständen erst nach Jahren zu laufen, wenn das Unternehmen des neuen Inhabers länger als vier Jahre besteht und damit nicht mehr der Sozialplanprivilegierung unterliegt.
Das BAG stellt andererseits – und das ist neu – auch heraus, dass es insbesondere mit Ablauf des Zeitraums des Sozialplanprivilegs keiner erneuten Unterrichtung wie im Fall anderer Unvollständigkeiten des Unterrichtungsschreibens bedürfe, denn der Wegfall des Privilegs trete kraft Gesetzes ein, der Unterrichtungsmangel sei somit geheilt.
Hohe Hürden für Arbeitgeber
Festzuhalten bleibt nach dieser Entscheidung, dass die Anforderungen an die Information der Arbeitnehmer hoch gehalten werden. Es reicht nicht, über den Erwerber, dessen Rechtsform, Sitz und Stammkapital zu informieren, auch eine Information über eine etwaige Sozialplanprivilegierung des neuen Inhabers ist notwendig. Insbesondere bei übertragenden Sanierungen oder dem Erwerb aus der Insolvenz bleibt stets zu prüfen, ob eine entsprechende Information zu erfolgen hat.
Trotz aller Bemühungen dürfte eine vollumfängliche Information der Arbeitnehmer auch in der Zukunft schwierig bleiben. Wenngleich die Rechtsprechung allgemeine Parameter herausarbeitet, liegen jedem Betriebsübergang individuelle Umstände zu Grunde, die individuell gehandhabt werden müssen. Die Beteiligten müssen entsprechend noch über Jahre hinweg damit rechnen, dass Arbeitnehmer in den Grenzen der Verwirkung ihr Widerspruchsrecht ausüben (hierzu unsere Kollegin Maren Jantz auf diesem Blog) und einem Betriebsübergang widersprechen, wobei eine solche Rückbesinnung auf den alten Arbeitgeber regelmäßig dann stattfindet, wenn der Bestand des Arbeitsverhältnisses beim Erwerber gefährdet ist.
Ein „Lichtblick“: Allein auf Grund unterbliebener Unterrichtung über das Sozialplanprivileg kann ein Widerspruch nach der aktuellen BAG-Entscheidung nun maximal vier Jahre nach Gründung des Unternehmens im Sinne des § 112a Abs. 2 S. 3 BetrVG, das ist häufig der Zeitpunkt die Übernahme des Betriebs (BAG, Urteil vom 14.11.2013 – 8 AZR 824/12 -), plus einen Monat für die dann beginnende Frist des § 613a Abs. 6 BGB erfolgen.
In der Praxis ist es damit sowohl aus Sicht des bisherigen Arbeitgebers als auch aus Sicht von Investoren zwingend, Haftungsrisiken zu minimieren. Neben der unbedingt zu empfehlenden Vereinbarung der gemeinsamen Erarbeitung der Arbeitnehmerinformation kommt die Unterbreitung von Erklärungen zum Verzicht auf das Widerspruchsrecht sowie die Vereinbarung fester Quoren für die Übernahme von Arbeitnehmern als Voraussetzung für das Zustandekommen eines Kaufvertrages oder Betriebsüberganges in Betracht. Schließlich sollte im Rahmen von Unternehmenskaufverträgen klar geregelt werden, welche Partei inwieweit bei Widersprüchen gegen den Übergang von Arbeitsverhältnissen haftet sowie unter welchen Voraussetzungen unvollständige Informationen gegebenenfalls nachzuholen sind.