Die Bundesagentur für Arbeit setzte bislang Unternehmen, die neben ihrem eigentlichen Zweck Arbeitnehmerüberlassung betreiben (sog. „Mischunternehmen“), enge Grenzen bei der Inbezugnahme von Tarifverträgen der Zeitarbeitsbranche. Faktisch waren damit Abweichungen vom Gleichstellungsgrundsatz bei der Arbeitnehmerüberlassung nur sehr eingeschränkt möglich. Das BSG hat diese Praxis in einer Entscheidung vom 12.10.2016 (Az. B 11 AL 6/15 R) für rechtswidrig erklärt. Die Bundesagentur für Arbeit hat ihre „fachlichen Weisungen“ dementsprechend angepasst. Mischunternehmen ist damit künftig ein größerer Spielraum bei der Gestaltung von Leiharbeitsverträgen eröffnet.
Die Entscheidung des BSG vom 12.10.2016
Das BSG hatte über die Rechtmäßigkeit einer Auflage zu einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis zu entscheiden.
Geklagt hatte eine Eventagentur, die neben ihren Kerntätigkeiten in geringem Umfang Arbeitnehmer an Dritte überließ. Die von ihr für ihre Leiharbeitnehmer verwendeten Vertragsmuster sahen die Anwendung der BZA/DGB-Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung vor.
Die Beklagte, die Bundesagentur für Arbeit, hatte die der Klägerin erteilte Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis (nachträglich) mit einer Auflage verbunden. Derzufolge war es der Klägerin grundsätzlich untersagt, mit den Leiharbeitnehmern für die Dauer der Überlassung an den Entleiher die Anwendung eines Tarifvertrages der Zeitarbeitsbranche zu vereinbaren. Dies deshalb, weil die Klägerin als Mischunternehmen nicht in den Geltungsbereich eines solchen Tarifvertrags falle und daher das mit der Inbezugnahme bezweckte Abweichen vom Gleichstellungsgrundsatz rechtswidrig sei. Eine Ausnahme komme nur dann in Betracht, wenn die Klägerin die Gründung einer separaten, dem Geltungsbereich eines Tarifvertrages der Zeitarbeitsbranche unterfallenden Betriebsabteilung für Leiharbeitnehmer nachweise. Hiergegen wandte sich die Klägerin.
Das BSG gab der Klägerin Recht. Die Auflage sei rechtswidrig. Die Klägerin könne auch als Mischunternehmen in den Geltungsbereich der Tarifverträge der Zeitarbeitsbranche fallen und durch deren Inbezugnahme wirksam vom Gleichstellungsgrundsatz abweichen. Der Gründung einer eigenen Betriebsabteilung für Leiharbeitnehmer bedürfe es dafür nicht.
Grundsatz der Gleichstellung
In der Entscheidung des BSG geht es im Kern um den auch bislang geltenden und seit dem 1.4.2017 in § 8 Abs. 1 Satz 1 AÜG geregelten Gleichstellungsgrundsatz. Unternehmen, die Arbeitnehmerüberlassung betreiben, haben demnach den von ihnen verliehenen Arbeitnehmern für die Dauer der Überlassung prinzipiell die gleichen Arbeitsbedingungen zu gewähren, wie sie für vergleichbare Arbeitnehmer des Entleihers gelten („equal pay“ und „equal treatment“).
Ausnahme durch tarifvertragliche Regelung
Von diesem Grundsatz kann durch Regelungen eines Tarifvertrages abgewichen werden, sofern dieser im Verhältnis zwischen Verleiher und Leiharbeitnehmer entweder kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit (§ 8 Abs. 2 Satz 1 AÜG) oder kraft arbeitsvertraglicher Inbezugnahme (§ 8 Abs. 2 Satz 3 AÜG) gilt.
Von der Möglichkeit der Inbezugnahme von Tarifverträgen wird in der Zeitarbeitsbranche häufig Gebrauch gemacht. Die Verleiher haben so die Möglichkeit, mit relativer Rechtssicherheit verhältnismäßig günstige und einheitliche Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Zugleich sind sie davon entlastet, die Arbeitsbedingungen vergleichbarer Arbeitnehmer im Entleiherbetrieb zu bestimmen. Der reduzierte Verwaltungsaufwand durch „Delegation“ der Festlegung der Arbeitsbedingungen an die Tarifvertragsparteien kann dabei gerade für Mischunternehmen besonders attraktiv sein.
Bisherige Praxis der Bundesagentur für Arbeit
In der Praxis war den Mischunternehmen die arbeitsvertragliche Inbezugnahme einschlägiger Tarifverträge bislang nur unter erschwerten Bedingungen möglich. Insbesondere die Bundesagentur für Arbeit vertrat in ihrer Eigenschaft als zuständige Erlaubnisbehörde die Rechtsansicht, dass Mischunternehmen regelmäßig nicht rechtswirksam Tarifverträge der Leiharbeitsbranche in Bezug nehmen können.
Die Behörde stützte ihre Rechtsauffassung auf eine bislang auch in der arbeitsrechtlichen Literatur weit verbreitete Auslegung des § 8 Abs. 2 Satz 3 AÜG (zuvor § 3 Abs. 1 Nr. 3 Satz 3 AÜG a.F. und § 9 Nr. 2 AÜG a.F.). Die Vorschrift sieht ausdrücklich vor, dass die Inbezugnahme eines Tarifvertrags nur Unternehmen und Arbeitnehmern in dessen „Geltungsbereich“ möglich sein soll. Dieses Erfordernis interpretierte die Bundesagentur äußerst restriktiv und sah es regelmäßig nur bei „vollwertigen“ Unternehmen der Zeitarbeitsbranche als gegeben an, mithin nur bei solchen, die überwiegend die Überlassung von Arbeitnehmern betrieben („Überwiegensprinzip“).
Im Ergebnis knüpfte die Bundesagentur die Erlaubnis zur Arbeitnehmerüberlassung bei Mischunternehmen daran, dass nicht durch Inbezugnahme von Tarifverträgen der Zeitarbeitsbranche vom Gleichstellungsgrundsatz abgewichen wurde.
Eine Ausnahme sollte nur dann bestehen, wenn Mischunternehmen für ihre Verleihtätigkeit organisatorisch verselbstständigte Einheiten gründeten, deren Zweck zumindest „überwiegend“ in der Überlassung von Arbeitnehmern bestand.
Neue Rechtslage und veränderte Weisungen der BA
Diese Praxis ist nach der neuen Rechtsprechung des BSG weitgehend obsolet. Das Gericht entschied, dass das Überwiegensprinzip nicht im AÜG angelegt sei. Zudem ergebe die Auslegung des zwischen der DGB-Tarifgemeinschaft und dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistung (BZA) vereinbarten Manteltarifvertrags i.d.F. vom 9.3.2010, dass der Definition seines Geltungsbereichs nicht das Industrieverbandsprinzip zugrunde liege. Vielmehr sei insoweit allein auf die Tätigkeit der Arbeitnehmerüberlassung abzustellen. Weder aus dem Gesetz noch aus dem Tarifvertrag ergebe sich mithin das Erfordernis, dass der Verleiher überwiegend Arbeitnehmerüberlassung betreiben müsse. Auf die Natur des Verleihers als Mischunternehmen komme es daher nicht an. Der Gründung einer separaten Betriebsabteilung bedürfe es nicht.
Die Bundesagentur für Arbeit hat ihre „Fachlichen Weisungen“ zum AÜG dieser Rechtsprechung mit Wirkung zum 1.4.2017 angepasst. In Abschnitt 8.5 Nr. 5 wird nunmehr ausdrücklich auf die neue Rechtsprechung des BSG Bezug genommen und diese auf die Flächentarifverträge zwischen der DGB-Tarifgemeinschaft und dem Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) sowie zwischen der DGB-Tarifgemeinschaft und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) übertragen.
Der „Geltungsbereich“ eines einschlägigen Tarifvertrages der Zeitarbeitsbranche ist somit nicht mehr per se auf „klassische“ Zeitarbeitsunternehmen beschränkt. Die Inbezugnahme dieser Tarifverträge ist für „Mischunternehmen“ somit auch ohne den „Umweg“ über eigenständige Betriebsabteilungen möglich.
Weiterführende Hinweise
Einen Überblick zu den neuen „Fachlichen Weisungen“ der Bundesagentur für Arbeit zum AÜG finden Sie in dem Beitrag von Barbara Reinhard, auf diesem Blog.