Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) hat schon in so mancher Personalabteilung für graue Haare gesorgt. Hier eine vermeintlich „flotte“ Stellenanzeige, dort ein gut gemeintes Schreiben an einen nicht berücksichtigten Bewerber – schon drohen Ansprüche auf Entschädigung und Schadensersatz. Der Europäische Gerichtshof hatte die Rechte von Arbeitgebern zuletzt noch grundlegend gestärkt und sogenannte „Scheinbewerber“ vom europarechtlichen Gleichbehandlungsschutz ausgeschlossen (wir haben hier berichtet). Ein neueres Urteil des Bundesarbeitsgerichts macht aber nochmals deutlich: Selbst ein kleiner Hauch an Ungleichbehandlung kann sich schnell zum Sturm eines Antidiskriminierungsprozesses über alle Instanzen auswachsen.
Ein Schelm, der Böses dabei denkt
Die Beklagte, ein Personalberatungsunternehmen, hatte im November 2011 im Internet eine Stellenanzeige veröffentlicht. Darin suchte sie einen „Junior-Consultant“, der in einem „jungen dynamischen Team“ mitwirken sollte. Einem damals 42-jährigen Diplom-Betriebswirt – dem späteren Kläger – erschien diese Stelle offenbar wie für ihn geschaffen. Er bewarb sich neben 45 weiteren Kandidaten. Dabei versäumte er es nicht, im Anschreiben sein Alter an prominenter Stelle zu erwähnen und mehrfach auf seinen weit entfernten Wohnort zu verweisen. Trotz all dieser Bemühungen wurde aber letztlich ein 28-jähriger Mitbewerber mit exzellenten Qualifikationen eingestellt. Das konnte nicht ohne Reaktion bleiben: Mit professioneller Unterstützung eines verwandten und auf AGG-Klagen spezialisierten Rechtsanwalts forderte der abgelehnte Bewerber Schadensersatz und eine „angemessene“ Entschädigung in Höhe von 16.000,00 EUR. Auf diesem Gebiet hatte der Kläger bereits umfassende „Berufserfahrung“ vorzuweisen. Denn seit Inkrafttreten des AGG war dies bereits sein 17. Versuch, sich für abgelehnte Bewerbungen entschädigen zu lassen. Auch bei Behörden hat der Kläger inzwischen einen hohen Bekanntheitsgrad (die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts auf gewerbsmäßigen Betrug).
Das Arbeitsgericht Mainz sah den Kläger allerdings durch die Stellenanzeige diskriminiert und sprach ihm eine Entschädigung in Höhe von 6.000,00 EUR zu. Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz konnte hingegen keine unzulässige Benachteiligung erkennen. Das „Junior“ in „Junior Consultant“ sei als Gegenstück zum „Senior“ in „Senior Consultant“ zu verstehen. Es beziehe sich erkennbar auf die Berufserfahrung und nicht – auch nicht mittelbar – auf das Alter. Die Formulierung „junges dynamische Team“ sei eine bloße Beschreibung des Ist-Zustands und keine Erwartung an das Alter der Bewerber. Es wies die Klage ab, ließ aber wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtsfrage die Revision zu.
__________________________________________________________________________________
Das Bundesarbeitsgericht hat das Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz am 11. August 2016 (Az.: 8 AZR 406/14) aufgehoben und zur erneuten Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
„Junges dynamisches Team“ als unmittelbare Diskriminierung
Nach Auffassung des 8. Senats stellt der Hinweis auf eine Tätigkeit in einem „jungen dynamischen Team“ eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters dar. Daher sei die Vermutung begründet, der Kläger sei im Auswahlverfahren wegen seines Alters benachteiligt worden. Der Begriff „jung“ knüpfe unmittelbar an das Lebensalter an und werde durch den Begriff „dynamisch“ – einer Eigenschaft, die im Allgemeinen eher jüngeren Menschen zugeschrieben werde – noch verstärkt. Aus Bewerbersicht könne die Formulierung daher regelmäßig eben nicht lediglich als Beschreibung eines „Ist-Zustands“ verstanden werden. Vielmehr werde beim Bewerber der Eindruck erweckt, ein Mitarbeiter werde gesucht, der ins Team passt, weil er ebenso „jung und dynamisch“ ist.
„Junior Consultant“ auf dem Prüfstand
Offen gelassen hat das Bundesarbeitsgericht, ob auch die Stellenbezeichnung „Junior Consultant“ konkret zu einer Diskriminierung führt. Allerdings hat es ausdrücklich festgehalten, dass die Vorinstanz zu Unrecht eine mittelbare Verknüpfung zum Alter verneint hat. Denn die Bezeichnung „Junior Consultant“ könne sich zwar auf die Berufserfahrung beziehen, sei dadurch aber mittelbar mit dem Alter verknüpft. Denn eine längere Berufserfahrung gehe typischerweise mit einem höheren Lebensalter einher. Insoweit hatte das Bundesarbeitsgericht bereits zuvor entschieden, dass Stellenanzeigen unter Angabe einer bestimmten maximalen Berufserfahrung „Diskriminierungspotenzial“ haben und nur zulässig sind, wenn mit der Beschränkung der Berufserfahrung ein rechtmäßiges Ziel verbunden ist.
Das heißt im Klartext: Selbst weit verbreitete und vermeintlich neutrale Formulierungen bergen das Risiko, ins Visier von „AGG-Hoppern“ zu gelangen. Zumindest wenn sie sich irgendwie mit den AGG-Kriterien (Rasse oder ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter, sexuelle Identität) in Verbindung bringen lassen. Diese allzu ausufernde Sichtweise hatte das Bundesarbeitsgericht bereits in seiner „Young Professionals“-Entscheidung vom 24. Januar 2013 (Az. 8 AZR 429/11) entwickelt.
Rechtliche Neuerungen
Bestätigt hat das BAG zwei Rechtssprechungsänderungen, welche es in einem ähnlich gelagerten Fall bereits mit Urteil vom 19. Mai 2016 (Az. 8 AZR 470/14) vollzogen hatte:
- Die objektive Eignung des Bewerbers für die ausgeschriebene Stelle ist keine Voraussetzung für Ansprüche aus § 15 Absatz 1 und Absatz 2 AGG. Dies entspricht wohl den europarechtlichen Vorgaben. Praktisch schafft dies aber neue Missbrauchsanreize. Denn „AGG-Hopper“ könnten ihr Tätigkeitsfeld nun auf ausgeschriebene Stellen erweitern, für die sie vollkommen ungeeignet sind.
- Die „subjektive Ernsthaftigkeit“ der Bewerbung soll keine Voraussetzung für die formale Bewerbereigenschaft im Sinne des § 6 Absatz 1 Satz 2 AGG sein. Vielmehr ist für die Annahme einer sogenannte „Scheinbewerbung“ maßgeblich, dass der Bewerber sich die Bewerbereigenschaft rechtsmissbräuchlich erschlichen hat. Was wie eine juristisches Feinheit wirkt, verschiebt in der Prozesspraxis die Darlegungs- und Beweislast – man ahnt es: zum Nachteil des Arbeitgebers.
Rechtsmissbrauch? Hohe Hürden!
Die Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Scheinbewerbung ist an extrem strenge Voraussetzungen geknüpft. So muss der Bewerber sich mit dem ausschließlichen Ziel beworben haben, die formale Bewerberstellung zur Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs auszunutzen.
Im vorliegenden Fall scheinen die Indizien nicht ausgereicht zu haben. Weder die 16 anderen AGG-Prozesse, noch die staatsanwaltlichen Ermittlungen, noch die Verwandtschaft zu einem AGG-Anwalt und auch nicht die deutlichen Angaben zu Alter und Wohnort im Bewerbungsschreiben sollen einen Rückschluss auf rechtsmissbräuchliches Verhalten zulassen. Denn – so die Begründung des Bundesarbeitsgerichts auf den Punkt gebracht – es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es der Kläger diesmal mit seiner Bewerbung ernst gemeint hat.
Fazit
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat den Fall nun erneut zu beurteilen. Dazu hat ihm das Bundesarbeitsgericht einen detaillierten Prüfungsplan mit auf den Weg gegeben. Es bleibt abzuwarten, ob die unmittelbare Diskriminierung des Klägers durch die Stellenanzeige ausnahmsweise gemäß §§ 8 und 10 AGG gerechtfertigt war oder die Ablehnung ausschließlich auf anderen Gründen als dem Alter des Bewerbers beruhte. Die Vorzeichen für die Arbeitgeberin stehen allerdings nicht gut: Denn die in §§ 8 und 10 AGG geregelten Ausnahmefälle sind eng umgrenzt. Und um zu beweisen, dass die Ablehnung ausschließlich auf „erlaubten“ Gründen beruhte, müsste die Beklagte ihr gesamtes Auswahlverfahren offenlegen (einschließlich aller eingegangenen Bewerbungen!). Ein Unterfangen, welches – wenn überhaupt – nur unter ganz erheblichen Anstrengungen zu bewältigen sein dürfte.
Über den Sinn und Unsinn des AGG und seiner Anwendung in Praxis und Justiz lässt sich somit weiter trefflich streiten. Aber es ändert nichts: Arbeitgeber sind gut beraten, sich am Bundesarbeitsgericht zu orientieren. Dieses setzt nach wie vor die Maßstäbe und verschärft seine Rechtsprechung weiter. Daher sollten Arbeitgeber, die das Risiko scheuen, sich strikt an das „Neutralitätsgebot“ halten und jede Formulierung in Stellenanzeigen vermeiden, die irgendeinen Bezug zu AGG-Kriterien ermöglichen. Sonst wird die nächste Klage nicht lange auf sich warten lassen.