Arbeitgeber dürfen durch ihre Weisung den Inhalt des Arbeitsverhältnisses bestimmen – soweit es der Vertrag zulässt. Das Gesetz sieht vor, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer Weisungen erteilt und dadurch die Arbeitspflicht konkretisiert. Das geschieht in der Praxis oft beiläufig und ist nicht immer als Weisung erkennbar. In vielen Fällen wird praktisch weitgehend auf Weisungen verzichtet. Wir beleuchten Reichweite und Grenzen des Weisungsrechts – einschließlich der Besonderheiten, die sich für Syndikusanwälte ergeben können.
Grundsatz: Der Arbeitgeber bestimmt den Inhalt der Tätigkeit durch Weisung
Die Weisung kommt in der arbeitsrechtlichen (und arbeitsgerichtlichen) Praxis insbesondere in drei Ausprägungen vor.
Zum einen beschäftigt die Gerichte die Frage, ob der Arbeitnehmer eine Weisung zumindest bis auf Weiteres befolgen muss, die er für unwirksam hält. Gilt – bis zur Rechtskraft eines anderslautenden Urteils – der Grundsatz „ich mache, was ich will“, oder nimmt der Arbeitnehmer damit das Risiko einer Kündigung auf sich?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sagt hierzu seit 2012 (Urt. v. 22.2.2012, 5 AZR 249/11): Ein Arbeitnehmer muss zunächst einmal tun, wozu er angewiesen wird, es sei denn, dies verstoße gegen das Gesetz (Überschreitung der Höchstarbeitszeit), gegen Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung oder gegen den Arbeitsvertrag (etwa bei Versetzung in eine andere Stadt bei vereinbartem Arbeitsort und Fehlen einer örtlichen Versetzungsklausel). Hält der Arbeitnehmer die Weisung dagegen „nur“ für unbillig, weil sie seine Interessen nicht hinreichend berücksichtigt, muss er sie erst einmal befolgen – bis zur gerichtlichen Klärung. Leistet der Arbeitnehmer der Weisung nicht Folge, erhält er keinen Annahmeverzugslohn und riskiert die Kündigung.
Das wurde verschiedentlich heftigst kritisiert, und in Konsequenz durch das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm auch anders entschieden: Es genüge, wenn der Arbeitnehmer sich darauf berufe, dass die Weisung unbillig sei, um diese (zunächst) nicht befolgen zu müssen (Urt. v. 17.3.2016, 17 Sa 1660/15). Die Revision beim BAG ist anhängig (Az. 10 AZR 330/16, mündliche Verhandlung terminiert für den 14. Juni 2017). Während es aus Sicht der Praxis zu begrüßen wäre, dass das BAG die Differenzierung zwischen nichtiger und unbilliger Weisung beibehält, ist zu erwarten, dass die teilweise massive Kritik an der Rechtsprechung des Fünften Senates nicht völlig wirkungslos bleiben wird.
Jahre ohne Weisung
Neben der Weisungstreue beschäftigen sich die Gerichte mit der Weisungsfreiheit: Was passiert, wenn jahrelang keine Weisungen erteilt werden? Führt eine langjährige Tätigkeit auf einer bestimmten Stelle zur „Konkretisierung“, also dazu, dass auch nichts anderes mehr geschuldet ist? Hierzu gelten ebenfalls klare Regeln (BAG, Urt. v. 13.6.2012, Az. 10 AZR 296/11 und Urt. v. 26.9.2012, Az. 10 AZR 311/11): Wenn Zeit und Umstand (wie bei der Verwirkung) dafür sprechen, dass am status quo nichts mehr geändert wird, mag das im Einzelfall so sein; die Hürde ist jedoch nicht nur vernachlässigbar.
Umgekehrt kann der Arbeitnehmer aber auch ein Recht auf (angemessene) Anpassung der vertraglich geschuldeten Tätigkeit durch Weisungen haben (BAG, Urt. v. 9.4.2014, Az. 10 AZR 637/13).
Fachliches Weisungsrecht bei Syndikusanwälten
Verstärkte Beachtung erfährt die Weisung in Vertragsgestaltung und Unternehmen dank des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte seit dem 1. Januar 2016. Um Mitglied im berufsständischen Versorgungswerk zu sein, muss eine „anwaltliche Tätigkeit“ nachgewiesen werden. Das nachzuweisen, erfordert vor allem einen prägenden Anteil (also mehr als 50 Prozent) fachlich unabhängiger Berufsausübung. Weisungen, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen, stehen einer solchen fachlichen Unabhängigkeit entgegen. Jedenfalls dann, wenn sie „zu befolgen sind“. Muss der Syndikusanwalt also „mehr“ riskieren und entgegen der Rechtsprechung des BAG eine Weisung nicht befolgen, um seinen Status nicht zu verlieren? Muss er also im Zweifel Abmahnung und Kündigung hinnehmen, um fachliche Weisungsfreiheit zu beweisen?
Wohl ja. § 46 Abs. 4 BRAO stellt hohe Anforderungen, indem er formuliert:
„Eine fachlich unabhängige Tätigkeit übt nicht aus, wer sich an Weisungen zu halten hat, die eine eigenständige Analyse der Rechtslage und eine einzelfallorientierte Rechtsberatung ausschließen. Die fachliche Unabhängigkeit […] des Syndikusrechtsanwalts ist vertraglich und tatsächlich zu gewährleisten.“
Daraus folgt zweierlei:
- Der Syndikusanwalt muss darauf achten, dass die Weisungsfreiheit vertraglich gewährleistet ist. Er muss also im Zweifel den Nachweis der vertraglich vereinbarten fachlichen Weisungsfreiheit führen können. Es genügt nicht ein bloß praktischer Verzicht auf das Weisungsrecht oder eine Auslegung der Tätigkeitsbeschreibung („Rechtsanwalt“, also „anwaltlich“ tätig).
- Die fachliche Unabhängigkeit muss auch tatsächlich gewährleistet sein. Damit kann kein zusätzliches Kriterium gemeint sein. Der Syndikusanwalt muss nicht nachweisen müssen, dass er tatsächlich Weisungen missachtet, die seinem Vertrag widersprechen. Das Gesetz stellt nur klar, dass die auf dem Papier vereinbarte Weisungsfreiheit nicht genügt, wenn tatsächlich Weisungen erteilt werden.
Der Vertragsgestaltung kommt damit eine wichtige Rolle zu, nicht nur beim Syndikusanwalt. Es ist genau zu definieren, welche Tätigkeit geschuldet ist und gegebenenfalls wie weit diese durch Weisungen modifiziert werden kann. Aus Unternehmenssicht ist abzuwägen zwischen Flexibilisierungsinteresse und Sicherheit für den Arbeitnehmer – die freilich im Kündigungsfalle auch zu einer leichteren Trennung führen kann.
Abgewandelte Fassung eines Beitrags für die Legal Tribune Online (LTO).