Nachdem das BAG im Jahr 2015 altersabhängige Spätehenklauseln in Versorgungszusagen wegen Altersdiskriminierung für unzulässig erklärt hatte, war der EuGH jüngst deutlich großzügiger. In seiner Parris-Entscheidung vermochte er in einer an das 60. Lebensjahr anknüpfenden Spätehenklausel keine Diskriminierung wegen des Alters zu erkennen. Was bedeutet diese Entscheidung für die Wirksamkeit von altersabhängigen Spätehenklauseln nach deutschem Recht?
Hinterbliebenenversorgung als Teil der betrieblichen Altersversorgung
Betriebliche Versorgungssysteme sehen neben einer Alters- und Invaliditätsversorgung häufig auch sogenannte Hinterbliebenenleistungen vor. Eine typische Gestaltungsform ist die Witwen- bzw. Witwerrente: Stirbt der Arbeitnehmer, zahlt der Arbeitgeber an dessen Ehepartner eine Versorgungsleistung. Eine derartige Zusage ist für den Arbeitgeber mit erheblichen zusätzlichen Unwägbarkeiten und Risiken verbunden. Denn es ist vollkommen ungewiss, ob, wann und wie lange die versprochenen Leistungen an den überlebenden Ehegatten erbracht werden müssen. Ist dieser beispielsweise erheblich jünger als der verstorbene Arbeitnehmer, muss der Arbeitgeber statistisch gesehen mit einer wesentlich längeren Leistungsdauer rechnen, was die (vom Arbeitgeber freiwillig übernommene) Versorgung naturgemäß verteuert. Dementsprechend sind viele Arbeitgeber bestrebt, die mit einer Hinterbliebenenversorgung einhergehenden wirtschaftlichen Risiken zu begrenzen.
Spätehenklauseln
Lange Zeit galten Spätehenklauseln als probates Mittel zur Risikominimierung. Sie schließen Versorgungsansprüche aus, wenn die Ehe nach einem bestimmten Zeitpunkt geschlossen wird, beispielsweise nach der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, nach Eintritt des versorgungsberechtigten Arbeitnehmers in den Ruhestand oder nach Vollendung eines bestimmten (z.B. des 60.) Lebensjahres. Während die ersten beiden Varianten nach wie vor als zulässig erachtet werden, hat das BAG eine an das Lebensalter des Arbeitnehmers anknüpfende Spätehenklausel in einer Entscheidung vom 4.8.2015 wegen unmittelbarer Altersdiskriminierung für unwirksam erklärt. Demgegenüber vermochte der Europäische Gerichtshof in einem ähnlich gelagerten Fall aus Irland eine unzulässige Diskriminierung wegen des Alters nicht zu erkennen. Können Arbeitgeber jetzt wieder von der Wirksamkeit einer an das Alter anknüpfenden Spätehenklausel ausgehen? Ein näherer Blick in die Entscheidungen lässt hieran durchaus zweifeln.
Die Entscheidung des BAG vom 4.8.2015 – 3 AZR 163/13
Nach Auffassung des BAG sind an das Alter (im entschiedenen Fall das 60. Lebensjahr) anknüpfende Spätehenklausel nach § 7 Abs. 2 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) unwirksam, weil der verstorbene Arbeitnehmer aufgrund der festen Altersgrenze unmittelbar wegen seines Alters benachteiligt werde.
Es handele sich auch nicht um eine ausnahmsweise zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters im Sinne von § 10 AGG. Die spezielle Privilegierungsnorm des § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG für Altersgrenzen in „betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit“ sei nicht einschlägig. Diese erfasse nur die Alters- und Invaliditätsversorgung, nicht jedoch die Hinterbliebenenversorgung.
Eine Rechtfertigung nach der allgemeinen Regelung in § 10 Satz 1, 2 AGG scheide ebenfalls aus, da die unmittelbare Ungleichbehandlung nicht zur Erreichung eines legitimen Ziels angemessen und erforderlich sei. Mit einer Spätehenklausel verfolge der Arbeitgeber in erster Linie zwei Ziele:
- die mit der Hinterbliebenenversorgung verbundenen zusätzlichen Risiken zu begrenzen, um den erforderlichen Versorgungsaufwand verlässlich kalkulieren zu können;
- die für die Witwen-/Witwerversorgung insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel auf einen bestimmten Personenkreis zu verteilen, um diesem eine Versorgung in angemessener Höhe gewähren zu können.
Ob es sich hierbei überhaupt um legitime Ziele im Sinne von § 10 Satz 1 AGG handele, ließ das BAG im Ergebnis offen. Jedenfalls sei die feste Altersgrenze von 60 Jahren gemäß § 10 Satz 2 AGG weder angemessen noch erforderlich, um diese Ziele zu erreichen. Sie führe vielmehr zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der Versorgungsberechtigten, die aufgrund der Vollendung des 60. Lebensjahres zum Zeitpunkt der Eheschließung von der Witwen-/Witwerversorgung ausgeschlossen werden. Außerdem gehe sie zum Teil über das hinaus, was zur Erreichung der angestrebten Ziele notwendig sei. Zur Begründung führt das BAG unter anderem an, das Versorgungsinteresse des Arbeitnehmers für seinen Ehepartner bestehe unabhängig vom Lebensalter, in dem die Ehe geschlossen werde. Die Dauer der Ehe während des Arbeitsverhältnisses sei zudem kein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Differenzierung. Denn die Hinterbliebenenleistung, die letztlich Entgeltcharakter habe, sei keine Gegenleistung für die Ehedauer, sondern für die Beschäftigungszeit. Anders als das Ende des Arbeitsverhältnisses oder der Eintritt des Versorgungsfalles stelle das Erreichen eines bestimmten Lebensalters ferner keine „Zäsur“ dar, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigen könne. Schließlich gebe es keinen allgemeinen Erfahrungssatz dahingehend, dass eine nach dieser Altersgrenze erfolgte Eheschließung ausschließlich oder weit überwiegend Versorgungszwecken diene (sog. „Versorgungsehe“).
Die Parris-Entscheidung des EuGH vom 24.11.2016 – C 443/15
Auch der EuGH hatte sich jüngst mit einer auf das 60. Lebensjahr abstellenden Spätehenklausel zu befassen und kam – etwas überraschend – zu dem Schluss, die mit der Klausel einhergehende Ungleichbehandlung wegen des Alters sei gerechtfertigt. Im Unterschied zum BAG stufte der EuGH die Hinterbliebenenrente als eine Form der Altersrente ein. Dementsprechend sah er den Anwendungsbereich von Art. 6 Abs. 2 der Antidiskriminierungs-Richtlinie (2000/78/EG) eröffnet, der mitgliedsstaatliche Regelungen, die die Festlegung von Altersgrenzen für den Bezug von Alters- oder Invalidenrenten erlauben, grundsätzlich zulässt. Da die altersabhängige Spätehenklausel eine derartige Altersgrenze darstellt, betrachtete der EuGH sie ohne weiteres als zulässig. Eine weitergehende Angemessenheits- oder Erforderlichkeitsprüfung nahm der EuGH nicht vor. Ob eine solche notwendig ist, hatte er in der HK Danmark-Entscheidung vom 26.9.2013 (C-476/11) noch offen gelassen. Nunmehr scheint er sich – ohne diese Frage allerdings ausdrücklich anzusprechen – dagegen entschieden zu haben.
Altersabhängige Spätehenklauseln doch zulässig?
Die Einordnung der Hinterbliebenenrente als Altersrente im Sinne von Art 6 Abs. 2 der Antidiskriminierungs-Richtlinie strahlt auch auf das deutsche Recht aus. Es spricht einiges dafür, § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG, der letztlich der Umsetzung von Art 6 Abs. 2 der Antidiskriminierungs-Richtlinie in nationales Recht dient, richtlinienkonform dahingehend auszulegen, dass er auch Hinterbliebenenrenten erfasst. Dementsprechend müsste das BAG von seiner Auffassung, § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG finde auf altersabhängigen Spätehenklausel keine Anwendung, abrücken. Doch würde dies an deren Unzulässigkeit nach deutschem Recht etwas ändern?
Die Antwort lautet vermutlich nein! Denn während der EuGH davon auszugehen scheint, dass die Ungleichbehandlung wegen des Alters bei Vorliegen der Voraussetzung von Art 6 Abs. 2 der Antidiskriminierung-Richtlinie ohne weitere Verhältnismäßigkeitsprüfung zulässig ist, nimmt das BAG in den Fallgruppen des § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG stets eine zusätzliche Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 10 Satz 2 AGG vor (BAG v. 9.12.2014 – 1 AZR 102/13; BAG v. 12.11.2013 – 3 AZR 356/12). Es vertritt insoweit die Auffassung, der deutsche Gesetzgeber sei bei der Schaffung von § 10 AGG über die Vorgaben von Art. 6 Abs. 2 der Antidiskriminierungs-Richtlinie hinausgegangen (BAG v. 18.3.2014 – 3 AZR 69/12). Da das BAG die Wirksamkeit altersabhängiger Spätehenklauseln an ebendieser Verhältnismäßigkeitsprüfung nach § 10 Satz 2 AGG hat scheitern lassen, wird es dies – ungeachtet der Parris-Entscheidung des EuGH – höchstwahrscheinlich auch weiterhin tun.
Fazit: Es bleibt dabei: Altersabhängige Spätehenklauseln in Versorgungszusagen ermöglichen dem Arbeitgeber seit der Entscheidung des BAG vom 4.8.2015 keine rechtssichere Begrenzung seines Versorgungsrisikos mehr. Hieran dürfte auch die jüngst ergangene Parris-Entscheidung des EuGH nichts ändern. Dementsprechend sollten altersabhängige Spätehenklauseln nicht mehr in neue Versorgungszusagen aufgenommen und vorhandene Zusagen – soweit möglich – angepasst werden.