Die Rechtsprechung zur Beteiligung des Betriebsrats im Rahmen der Massenentlassungsanzeige bleibt in Bewegung. Neue Unsicherheit entsteht aktuell im Hinblick auf die Frage, welche Rolle arbeitgeberfremde Unternehmen bei den Beratungen mit dem Betriebsrat gem. § 17 Abs. 2 KSchG spielen, wenn sie Einfluss auf die anzeigepflichtigen Entlassungen genommen haben. Hierzu hat jüngst das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg den EuGH angerufen, dessen Auffassung künftige Beteiligungsverfahren im Rahmen von Personalabbaumaßnahmen entscheidend beeinflussen könnte.
Welche Rolle spielen Drittunternehmen bei Personalabbaumaßnahmen?
Neben den bekannten Anforderungen an die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats im Rahmen der Massenentlassungsanzeige entstehen zusätzliche Risiken für die Wirksamkeit von Kündigungen. Das kann u.A. drohen wenn Arbeitnehmer behaupten, arbeitgeberfremde Unternehmen hätten Einfluss auf die geplanten Entlassungen genommen, etwa durch die Entscheidung über eine konzerninterne Verlagerung von Arbeitsplätzen.
In diesem Zusammenhang bestimmt § 17 Abs. 3a KSchG, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat die erforderlichen Auskünfte über den Einfluss eines „beherrschenden“ Unternehmens auf die Entlassungen erteilen und diese mit ihm beraten muss. Hierzu hat der EuGH festgestellt, dass die Pflicht zur Beteiligung des Betriebsrats bereits dann besteht, wenn auf Konzernebene strategische Entscheidungen über die Änderung der Geschäftstätigkeit geplant werden, die den Arbeitgeber veranlassen, Massenentlassungen in Erwägung zu ziehen (Urteil vom 10. September 2009 – C-44/08 – Keskusliitto).
Durch § 17 Abs. 3a KSchG soll vermieden werden, dass sich der Arbeitgeber seiner Beteiligungspflichten entzieht, indem er darauf verweist, dass nicht er selbst, sondern ein ihn beherrschendes Unternehmen die Entlassungsentscheidung getroffen hat.
Neue Fragen vor dem LAG Berlin-Brandenburg
Aktuell beanstanden Arbeitnehmer in mehreren Kündigungsschutzverfahren vor dem LAG Berlin-Brandenburg die ausreichende Beteiligung des Betriebsrats (Az. 10 Sa 284/16, 10 Sa 490/16, 10 Sa 491/16). Dieser sei über die externen Hintergründe der geplanten Stilllegung des Betriebes nicht hinreichend informiert worden, insbesondere fehlten Informationen über den Einfluss verschiedener Tochter- und Leiharbeitsfirmen, an die auf Weisung eines Treuhänders bisher beim Arbeitgeber verrichtete Aufgaben verlagert worden seien.
Die gesetzlich vorgesehene Verhandlung zur Vermeidung des Personalabbaus sei dem Betriebsrat ohne Kenntnis dieser Umstände nicht möglich gewesen. Mangels ordnungsgemäße Durchführung des Beteiligungsverfahrens seien die Kündigungen unwirksam.
Entscheidende Fragestellungen an den EuGH
Zur Aufklärung der Relevanz dieser Beanstandungen hat das LAG dem Europäischen Gerichtshof in einem brisanten Vorlageverfahren gleich mehrere wesentliche Fragen zur Beantwortung vorgelegt:
1. Gilt nur ein Unternehmen, dessen Einfluss über gesellschaftsrechtliche Beteiligungen und Stimmrechte abgesichert ist als „beherrschendes“ Unternehmen i.S. des § 17 Abs. 3a KSchG oder reicht es aus, wenn ein solcher Einfluss zum Beispiel über faktische oder vertragliche Weisungsmöglichkeiten natürlicher Personen ausgeübt wird?
Während bereits umstritten ist, ob eine „Beherrschung“ schon dann vorliegt, wenn das Unternehmen nach § 17 AktG einen maßgeblichen Einfluss ausüben kann oder ob (auch) eine einheitliche Leitung im Sinne einer gesellschaftsrechtlichen Konzernbindung gemäß § 18 Abs. 1 AktG erforderlich ist, geht das LAG mit seiner Frage noch einen Schritt weiter.
Es hinterfragt, ob überhaupt eine gesellschaftsrechtliche Einflussnahme erforderlich ist, da dies ausdrücklich weder von der europäischen Massenentlassungsrichtlinie noch von § 17 Abs. 3a KSchG vorgesehen sei. Sollte der EuGH feststellen, dass weder eine gesellschaftsrechtliche Beherrschung noch ein Konzernbezug für einen im Sinne des § 17 Abs. 3a KSchG relevanten Einfluss erforderlich ist, wäre auch die Rolle externer Entscheidungsträger neu zu bewerten.
Denn in diesem Fall könnte der Arbeitgeber verpflichtet sein, den Betriebsrat detailliert z.B. auch über die Rolle externer Berater zu informieren und diese mit ihm zu beraten, sofern diese auf seine Entscheidung Einfluss genommen haben, Personalabbaumaßnahmen durchzuführen
2. Muss der Einfluss auf den Arbeitgeber durch eine unmittelbare Entscheidung ausgeübt werden oder reicht auch eine mittelbare Entscheidung aus, die ein abhängiges Unternehmen zur Vornahme von Entlassungen bewegt?
Die Beantwortung dieser Frage ist von besonderer Relevanz, da, sofern schon ein mittelbarer externer Einfluss auf die Entscheidung eines Personalabbaus ausreichen sollte, auch indirekte Ursachen eines geplanten Personalabbaus eingehend dargestellt und beraten werden müssten. Hierzu können zum Beispiel die Kündigung eines Auftrags durch einen konzernangehörigen Auftraggeber oder die Verlagerung von Aufgaben auf eine andere Gesellschaft und den sich hieraus ergebenden Wegfall des Beschäftigungsbedarfs gehören.
3. Welche Informationen müssen erteilt werden, damit der Betriebsrat tatsächlich in die Lage versetzt wird, sinnvoll über eine Vermeidung von Massenentlassungen zu verhandeln?
Mit dieser Frage knüpft das LAG an sein Urteil vom 26. November 2015 (Az. 10 Sa 1501/15 – Revision anhängig unter BAG – Az. 2 AZR 87/16) an. Es hatte dort klagestattgebend festgestellt, dass der Arbeitgeber es versäumt hat, dem Betriebsrat detaillierte Informationen zum Hintergrund von konzerninternen Auftragsvergaben, etwa auch zur Preisgestaltung zu geben.
In seiner aktuellen Vorlage an den EuGH bekräftigt das LAG, der Arbeitgeber sei aus seiner Sicht verpflichtet, dem Betriebsrat die betriebswirtschaftlichen Details, in „einer erheblichen Tiefe„ zu erläutern, um dem Gremium eine „wirtschaftliche Diskussion auf Augenhöhe“ zu ermöglichen.
Eine neue Ebene der Beteiligung?
Mit seiner Vorlage an den EuGH öffnet das LAG Berlin-Brandenburg gleich mehrere neue Flanken für weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrats. Zwar bleibt abzuwarten, ob der EuGH dem Ansatz des LAG folgt, wonach auch externe Dritte „beherrschende Unternehmen“ sein können und der Arbeitgeber auch über mittelbare Einflüsse auf den Personalabbau in erheblicher Detailtiefe informieren sowie hierüber beraten muss.
Eine Bestätigung der Auffassung des LAG würde die Beteiligung des Betriebsrats jedenfalls um eine neue Ebene erweitern. Denn im Rahmen der Beteiligung gemäß §§ 111 ff. BetrVG war es bislang ausreichend, den Hintergrund und die Auswirkungen der Entscheidung zur Durchführung von Personalabbaumaßnahmen auf die unternehmerische Sphäre des Arbeitgebers zu beschränken.
Wenn bei der in der Praxis anzuratenden Verknüpfung der kollektivrechtlichen Beteiligungsverfahren auch die Rolle externer Einflüsse in die Beratungen über den Interessenausgleich einzuführen sind, ist zukünftig mit einem erhöhten Aufwand bei Personalabbaumaßnahmen zu rechnen. Bis zu einer Entscheidung des EuGH ist dringend anzuraten, die Rolle arbeitgeberfremder Entscheidungsträger besonders sorgfältig zu prüfen und das Konsultationsverfahren gem. § 17 Abs. 2 KSchG im Zweifel um die genannten Aspekte zu erweitern.
Vertiefungshinweise:
Mehr zu Stolperfallen bei der Massenentlassung lesen Sie in den Beiträgen von Christoph Crisolli (hier) sowie Dr. Sebastian Bröckner (hier) sowie zur Berücksichtigung von Elternzeitlern bei der Massenentlassung den Beiträgen von Dr. Alexa Paehler (hier und hier), bereits veröffentlicht auf diesem Blog.