Der Bundestag hat am 21. Oktober 2016 das Flexirentengesetz beschlossen. Damit reagiert der Gesetzgeber angesichts steigender Lebenserwartung auf den Wunsch vieler Arbeitnehmer, den Übergang vom Erwerbsleben in die Rente flexibler und einer Weiterbeschäftigung über die Regelaltersgrenze hinaus attraktiver zu gestalten. Teile des Gesetzes sind bereits zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten. Die Arbeitswelt wird sich daher mit der Frage beschäftigen müssen, wie die arbeitsrechtliche Ausgestaltung von Arbeitsverträgen über die Regelaltersgrenze hinaus erfolgen kann. Denn heutzutage sind die meisten Arbeitsverträge auf die Regelaltersgrenze befristet.
Rechtliche Rahmenbedingungen nach § 41 Satz 3 SGB VI
Das Flexirentengesetz selbst bietet keine (neue) rechtliche Grundlage zur flexiblen Ausgestaltung von Arbeitsverhältnissen über die Regelaltersgrenze hinaus. Der Gesetzgeber geht offenbar davon aus, dass bereits hinreichende Gestaltungsmöglichkeiten bestehen. Naheliegend erscheint ein Rückgriff auf die erst 2014 geschaffene Regelung in § 41 Satz 3 SGB VI. Die Vorschrift lautet:
„Sieht eine Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vor, können die Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch mehrfach, hinausschieben.“
Voraussetzung ist demnach, (1.) dass der Arbeitsvertrag eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Erreichen der Regelaltersgrenze vorsieht und (2.) die Parteien noch während des Arbeitsverhältnisses – also spätestens am letzten Tag – eine Vereinbarung über die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses über die Regelaltersgrenze hinaus treffen. Diese Flexibilisierung erscheint angesichts des Wortlauts einfach und unkompliziert. Allerdings bestehen gegen die Wirksamkeit des § 41 Satz 3 SGB VI durchgreifende auf europarechtlichen Vorgaben beruhende Bedenken. Folge einer Europarechtswidrigkeit wäre die Unwirksamkeit der darauf aufbauenden Befristungen. Dieses Schicksal war bereits Befristungen beschieden, die auf der Grundlage des früheren § 14 Abs. 3 Satz 4 TzBfG getroffen wurden. (Vgl. nur EuGH v. 22. November 2005 – C-144/04, Mangold).
Unvereinbarkeit mit EU-Recht?
Der Gesetzgeber setzt sich in der amtlichen Gesetzesbegründung zu § 41 Satz 3 SGB VI zwar mit der Rechtsprechung des EuGH zur Zulässigkeit von Befristungen auf die Regelaltersgrenze auseinander (vgl. BT-Drucks. 18/1489, S. 25). Etwas überraschend lässt er aber die Vorgaben der Befristungsrichtlinie 1999/70/EG vollkommen unerwähnt. Dabei dürften gerade diese erhebliche Zweifel an der Vereinbarkeit von § 41 Satz 3 SGB VI mit dem Unionsrecht erwecken. Die Befristungsrichtlinie 1999/70/EG sieht nämlich in § 5 der anliegenden Rahmenvereinbarung verschiedene Maßnahmen vor, die die Mitgliedstaaten zur Vermeidung von Missbrauch durch aufeinanderfolgende Befristungen zu ergreifen haben. In diesem Zusammenhang müssen die Mitgliedstaaten alternativ oder kumulativ festlegen:
- sachliche Gründe, die die Verlängerung solcher Verträge rechtfertigen,
- die insgesamt maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge oder –verhältnisse,
- die zulässige Zahl der Verlängerungen solcher Verträge oder Verhältnisse.
Legt man diese Vorgaben bei der Beurteilung von § 41 Satz 3 SGB VI zugrunde, ergibt sich eine ernüchternde Erkenntnis: Die Vorschrift sieht weder einen sachlichen Grund noch eine maximal zulässige Dauer aufeinanderfolgender Arbeitsverträge noch eine maximal zulässige Anzahl an Verlängerungen vor. Die bestehende Regelung würde es vielmehr nach ihrem Wortlaut ermöglichen, das Arbeitsverhältnis in unbegrenzter Zahl von einen Tag auf den nächsten zu befristen.
„Drum prüfe, wer sich ewig bindet“
Wurde das Arbeitsverhältnis auf der Grundlage des europarechtswidrigen § 41 Satz 3 SGB VI über die Regelaltersgrenze hinaus befristet, wird es für den Arbeitgeber äußerst schwierig, das nun unbefristet bestehende Arbeitsverhältnis einseitig wieder zu beenden. Eine arbeitgeberseitige Kündigung wegen der Möglichkeit des Bezugs der Altersrente verbietet sich in Anbetracht der Regelung des § 41 Satz 1 SGB VI. Ungeachtet anderer Beendigungstatbestände müsste der Arbeitgeber darauf vertrauen, dass der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis irgendwann von sich aus kündigen werde. Im Hinblick auf das fortschreitende Alter des Arbeitnehmers und die üblicherweise altersbedingt häufiger auftretenden Krankheiten wäre für den Arbeitgeber dann letztlich nur eine krankheitsbedingte Kündigung oder eine Kündigung wegen Low Performance das letzte Mittel. Anders ließe sich das unbefristete Arbeitsverhältnis nicht mehr einseitig beenden.
Befristung nur in Ausnahmefällen möglich
Der Gesetzgeber ist nun dringend in der Pflicht, die erforderlichen, arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen zu schaffen, um den Arbeitsvertragsparteien die – rechtssichere – Befristung über die Regelaltersgrenze hinaus zu ermöglichen. Andernfalls werden die sozialversicherungsrechtlichen Vorteile der Flexi-Rente ins Leere laufen. Denn weder das Erreichen des gesetzlichen Rentenalters noch die Möglichkeit, Altersrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu beanspruchen, stellt nach aktueller Rechtsprechung für sich genommen einen sachlichen Grund zur Befristung des Arbeitsverhältnisses dar. Nur wenn die befristete Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses einer ganz konkreten, zum Zeitpunkt der Befristungsabrede bestehenden Personalplanung des Arbeitgebers dient, kann nach jüngster Rechtsprechung nach Erreichen der Regelaltersgrenze die Befristung des Arbeitsverhältnisses aufgrund überwiegender Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt sein (vgl. BAG v. 11. Februar 2015 – 7 AZR 17/13).
Angesichts dieser unsicheren Rechtslage müssten Arbeitgeber und Arbeitnehmer daher bis auf weiteres auf die Sachgründe des § 14 TzBfG zurückgreifen. Diese Sachgründe dürften aber lediglich in Ausnahmefällen einschlägig sein. Sie sind keineswegs geeignet, Arbeitsverhältnisse in aller Regel über die Regelaltersgrenze hinaus zu befristen. So kämen allenfalls die Sachgründe des vorübergehenden Mehrbedarfs (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 TzBfG) sowie der Vertretung (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 TzBfG) ernsthaft in Betracht. Es erscheint indes weder angemessen noch zufriedenstellend, einen jahrelangen Mitarbeiter, der nun nach Erreichen der Regelaltersgrenze in zeitlich begrenztem Umfang weiter arbeiten möchte, plötzlich auf der ungewissen Grundlage von Projektarbeit oder anderweitigen Krankheitsfällen zu beschäftigen.
Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass der vermeintliche einfache Weg, das Arbeitsverhältnis gemäß § 41 Satz 3 SGB VI über die Regelaltersgrenze hinaus zu befristen, für den Arbeitgeber mit der ungeahnten Gefahr des Zustandekommens eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses verbunden ist. Von diesem unbefristeten Arbeitsverhältnis kann er sich dann nur noch bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes wieder einseitig lösen. Es bleibt daher abzuwarten, ob der Gesetzgeber künftig die arbeitsrechtlichen – und unionskonformen – Rahmenbedingungen schafft, um Arbeitsverhältnisse über die Regelaltersgrenze hinaus rechtssicher zu befristen. Bis dahin dürfte den Arbeitsvertragsparteien anzuraten sein, von einer Befristung auf der Grundlage von § 41 Satz 3 SGB VI – sicherheitshalber – Abstand zu nehmen. Stattdessen ist stets sehr genau zu prüfen, ob – zumindest vorübergehend – einer der Sachgründe des § 14 Abs. 1 TzBfG einschlägig ist.
Mit den sozialversicherungsrechtlichen Aspekten der Flexi-Rente beschäftigt sich der Beitrag von Ulrike Wölk, bereits veröffentlicht auf diesem Blog.