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Mitbestimmung

Sind deutsche Mitbestimmungsgesetze europarechtswidrig?

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Unternehmensmitbestimmung

Die Antwort auf diese Frage steht noch aus. Sicher ist nur, dass der Europäische Gerichtshof die deutsche Unternehmensmitbestimmung auf ihre Vereinbarkeit mit dem Europarecht überprüfen wird. Es geht einerseits um die Frage, ob im EU-Ausland beschäftigte Arbeitnehmer bei den Schwellenwerten zur Wahl eines Aufsichtsrats zu berücksichtigen sind und andererseits, ob der Ausschluss der aktiven und passiven Wahlberechtigung von Beschäftigten deutscher Unternehmen im EU-Ausland bei den Aufsichtsratswahlen europarechtswidrig ist.

Uneinheitliche deutsche Rechtsprechung

Im Rahmen von aktienrechtlichen Statusverfahren nach § 98 AktG mussten sich deutsche Gerichte vermehrt mit der Frage der Vereinbarkeit der deutschen Mitbestimmungsgesetze mit dem Europarecht beschäftigen. Das LG Landau/Pfalz (Beschluss v. 18.9.2013 – HKO 27/13) sowie das LG München I (Beschluss v. 27.8.2015 – 5 HKO 20285/14) lehnten jeweils einen Verstoß gegen Unionsrecht wegen des Ausschlusses der Belegschaften im EU-Ausland vom aktiven und passiven Wahlrecht ab. Insbesondere sei es dem deutschen Gesetzgeber nach dem Territorialitätsprinzip grundsätzlich verwehrt, in die Rechtsordnungen der anderen EU-Mitgliedstaaten durch Wahlvorschriften einzugreifen. Demgegenüber vertraten das OLG Zweibrücken (Beschluss v. 20.2.2014 – 3 W 150/13) und das LG Frankfurt/Main (Beschluss v. 16.2.2015 – 3-16 O 1/14) die Auffassung, dass eine europarechtskonforme Auslegung der deutschen Mitbestimmungsgesetze zu einer Berücksichtigung der im EU-Ausland beschäftigten Arbeitnehmer im Rahmen der deutschen Unternehmensmitbestimmung führe. Während diese Frage im Beschluss des OLG Zweibrücken nicht entscheidungserheblich war, entschied das LG Frankfurt, dass im Ausland beschäftigte Mitarbeiter an der Wahl der Arbeitnehmervertreter zum Aufsichtsrat zu beteiligen und diese bei der Bestimmung der Zahl der für die Anwendung der Mitbestimmungsgesetze maßgeblichen Arbeitnehmer zu berücksichtigen sind. Vor diesem Hintergrund war nach Auffassung des LG Frankfurt der Aufsichtsrat der Deutsche Börse AG nicht nach den gesetzlichen Vorschriften zusammengesetzt.


Vorlage des Berliner Kammergerichts

Das Berliner Kammergericht (Beschluss v. 16.10.2015 –14 W 89/15) legte im Statusverfahren betreffend die TUI AG im Oktober 2015 die Frage dem EuGH vor (anhängig beim EuGH, C-566/15). Konkret stellte es die Frage, ob es mit dem Diskriminierungsverbot gemäß Art. 18 AEUV und der Arbeitnehmerfreizügigkeit gemäß Art. 45 AEUV vereinbar sei, dass ein Mitgliedstaat das aktive und passive Wahlrecht für die Vertreter der Arbeitnehmer in das Aufsichtsorgan eines Unternehmens nur solchen Arbeitnehmern einräumt, die in Betrieben des Unternehmens oder in Konzernunternehmen im Inland beschäftigt sind.

Aussetzung des OLG Frankfurt am Main

Im Statusverfahren der Deutsche Börse AG hat das OLG Frankfurt/Main als Beschwerdegericht schließlich im Juni 2016 das Verfahren bis zur Entscheidung des EuGH wegen Vorgreiflichkeit ausgesetzt (Beschluss v. 17.6.2016 – 21 W 91/15). Der Senat hielt einen Verstoß gegen Unionsrecht durch die Nichtberücksichtigung der im EU-Ausland beschäftigten Arbeitnehmer bei der Ermittlung der Arbeitnehmerzahl für die Anwendbarkeit der Mitbestimmungsgesetze allenfalls dann für denkbar, wenn diesen Arbeitnehmern ein passives Wahlrecht zustünde. Ohne ein passives Wahlrecht begegne die nach den bestehenden Regeln praktizierte Zählweise hingegen keinen unionsrechtlichen Bedenken. Eine von der Frage des Wahlrechts unabhängige Vorlage an den EuGH sei daher nicht erforderlich.

Auswirkungen für deutsche Unternehmen

Für deutsche Unternehmen ist die Entscheidung des EuGH von großer Bedeutung. Bislang ist man überwiegend davon ausgegangen, dass bei den Schwellenwerten der deutschen Mitbestimmungsgesetze für die Pflicht zur Bildung eines mitbestimmten Aufsichtsrats (mehr als 2.000 Arbeitnehmer nach dem Mitbestimmungsgesetz und mehr als 500 Arbeitnehmer nach dem Drittelbeteiligungsgesetz) nur die in Deutschland beschäftigen Arbeitnehmer einzubeziehen sind und nur diese hinsichtlich der Zusammensetzung des Aufsichtsrats auch das aktive und passive Wahlrecht besitzen.

Keine Auswirkungen ergäben sich, wenn der EuGH die Vereinbarkeit der deutschen Mitbestimmungsgesetze mit dem Europarecht feststellt. Sowohl der Aufsichtsrat bei der TUI AG als auch der Aufsichtsrat bei der Deutsche Börse AG wären dann – weiterhin – ordnungsgemäß zusammengesetzt.

Anders wäre dies hingegen, wenn der EuGH die Europarechtswidrigkeit der deutschen Mitbestimmungsgesetze annimmt. Über die rechtlichen Folgen einer etwaigen Unionswidrigkeit der deutschen Mitbestimmungsgesetze müssten der deutsche Gesetzgeber bzw. die deutschen Gerichte entscheiden. Denkbar wäre bspw., dass der Anwendungsvorrang des Europarechts zur Unanwendbarkeit der deutschen Mitbestimmungsgesetze führt, so dass die deutschen Aufsichtsräte nur noch aus Vertretern der Anteilseigner i.S.d. § 96 Abs. 1 Var. 6 AktG bestünden. Zum anderen könnten Arbeitnehmer aus dem EU-Ausland bei der Anzahl der für die Anwendung der Mitbestimmungsgesetze maßgeblichen Arbeitnehmer zu berücksichtigen sein und sich dementsprechend die Zahl der mitbestimmten Unternehmen in Deutschland erheblich erhöhen. Die Anerkennung des aktiven und passiven Wahlrechts von im EU-Ausland Beschäftigten würde ferner zu einer neuen Zusammensetzung der Aufsichtsräte führen und es könnten insoweit nicht nur in Deutschland beschäftigte Arbeitnehmervertreter, sondern auch im EU-Ausland beschäftigte Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat gewählt werden.

Fazit

Mit der Entscheidung des EuGH ist im Laufe des Jahres 2017 zu rechnen. Die Europäische Kommission hat in ihrer Stellungnahme bereits erkennen lassen, dass sie die Einräumung des aktiven und passiven Wahlrechts nur für Beschäftigte in Deutschland mit Art. 45 AEUV für unvereinbar hält. Sollte der EuGH die Europarechtswidrigkeit der deutschen Unternehmensmitbestimmungsgesetze feststellen, wird mit Spannung zu beobachten sein, welche konkreten rechtlichen Auswirkungen sich daraus ergeben. Im Ergebnis ist kaum vorstellbar, dass eine solche Entscheidung des EuGH den Wegfall der deutschen Mitbestimmung zur Folge haben würde. Wahrscheinlicher wäre daher eine Öffnung der deutschen Mitbestimmung für die im EU-Ausland Beschäftigten. Praktisch könnten damit einerseits eine erhebliche Vergrößerung der Anzahl mitbestimmter Unternehmen und andererseits eine Zunahme ausländischer Arbeitnehmervertreter in deutschen Aufsichtsräten einhergehen. Das Letztere wäre aber letztlich bloß die logische Fortentwicklung einer schon lange erkennbaren Entwicklung: Auf Anteilseignerseite ist die Internationalisierung des Aufsichtsrats längst gängige Praxis. Vor diesem Hintergrund würde eine solche Entwicklung viele Aufsichtsräte zwar nicht vor neue sprachliche oder kulturelle Herausforderungen stellen. Allerdings würden mit der Anerkennung des aktiven und passiven Wahlrechts nicht unerhebliche weitere Kosten auf die Unternehmen zukommen. In jedem Fall sollten daher sowohl Unternehmen, die bereits der Mitbestimmung unterliegen, als auch solche, die bisher der Unternehmensmitbestimmung nicht unterfallen, aber Mitarbeiter im EU-Ausland beschäftigen, den weiteren Verfahrensgang aufmerksam verfolgen.

Dr. Alexa Paehler, LL.M.

Rechtsanwältin
Fach­an­wäl­tin für Arbeitsrecht
Principal Counsel
Alexa Paehler berät Arbeitgeber schwerpunktmäßig bei Kün­di­gungs­rechts­strei­tig­kei­ten, zu Organverhältnissen (Geschäfts­füh­rer/Vorstände), kollektivarbeits­recht­li­chen Fragen sowie zu Unter­neh­mens­käufen.
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