Die Antwort auf diese Frage hat sich in den letzten 2 Jahren grundlegend geändert. Der Europäische Gerichtshof hat durch seine Rechtsprechung einige wesentliche Veränderungen im deutschen Urlaubsrecht bewirkt. So auch in der Frage, ob die Erben von verstorbenen Arbeitnehmern gegenüber deren ehemaligen Arbeitgebern Ansprüche auf Urlaubsabgeltung haben. Das Bundesarbeitsgericht („BAG“) verneinte diese Frage bis 2013 in ständiger Rechtsprechung. An dieser Antwort wird es nach dem Bollacke-Urteil des Europäischen Gerichtshofs („EuGH“) vom 12.06.2014 (C-118/13) jedenfalls mit Blick auf den gesetzlichen Mindesturlaub nicht festhalten können. Dies zeigen bereits neuere Urteile der Instanzgerichte. Was aber wird für den vertraglichen Mehrurlaub gelten?
Aktuelle Rechtsprechung der Instanzgerichte
Das ArbG Berlin (Urt. v. 07.10.2015 ‑ 56 Ca 10968/15 ‑) und das LAG Düsseldorf (Urt. v. 15.12.2015 ‑ 3 Sa 21/15 ‑ sowie Urt. v. 13.01.2016 ‑ 4 Sa 888/15 ‑) haben in jüngster Zeit unter Berufung auf das Bollacke-Urteil des EuGH entschieden, dass die Erben von verstorbenen Arbeitnehmern gegenüber deren ehemaligen Arbeitgebern Ansprüche auf Urlaubsabgeltung haben.
Die Instanzgerichte urteilten, dass § 7 Abs. 4 Bundesurlaubsgesetz („BUrlG“), nach dem Urlaub abzugelten ist, wenn er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr gewährt werden kann, im Lichte des Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 der EG so auszulegen sei, dass Urlaub auch dann abzugelten sei, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers eintrete. Dies sei ohne weiteres möglich, da § 7 Abs. 4 BUrlG den Urlaubsabgeltungsanspruch lediglich an die Voraussetzungen knüpft, dass das Arbeitsverhältnis beendet ist und ein offener Urlaubsanspruch besteht.
Die Gerichte gehen davon aus, dass der Abgeltungsanspruch, der nicht beim verstorbenen Arbeitnehmer entstehen kann, beim Erben entstehe. Dass der verstorbene Arbeitnehmer nicht mehr in den Genuss des aufgrund der Urlaubsabgeltung gewährten Geldes kommen kann, um damit Freizeit zu seiner Erholung finanzieren zu können, sei unerheblich, da der Urlaubsabgeltungsanspruch inzwischen auch vom BAG nur noch als reiner Geldanspruch angesehen werde (vgl. BAG, Urt. v. 19.06.2012 ‑ 9 AZR 652/10 ‑).
Bisherige Rechtsprechung des BAG
Das BAG urteilte zuletzt am 12.03.2013 (9 AZR 532/11), dass die Erben eines verstorbenen Arbeitnehmers keinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung gegen dessen Arbeitgeber hatten und führte hierzu in dieser Entscheidung und in der vom 20.09.2011 (9 AZR 416/10) im Wesentlichen an:
Der Urlaubsanspruch gehe mit dem Tod des Arbeitnehmers unter, da der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch, also den Anspruch des Arbeitnehmers von seiner Arbeitspflicht freigestellt zu werden, durch dessen Ableben sowie aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr erfüllen kann.
Aufgrund des Todes des Arbeitnehmers könne darüber hinaus kein Urlaubsabgeltungsanspruch entstehen. Das BAG deutete § 7 Abs. 4 BUrlG so, dass nur dann ein Urlaubsabgeltungsanspruch entstehen könne, wenn zu dem für die Umwandlung von Urlaubsanspruch in Urlaubsabgeltungsanspruch entscheidenden Zeitpunkt ‑ der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ‑– noch ein Urlaubsanspruch existiert. Dies sei bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Tod des Arbeitnehmers allerdings nicht der Fall. Der Anspruchsuntergang durch den Tod des Arbeitnehmers schließe eine gleichzeitige Wandlung aus.
Auch habe der verstorbene Arbeitnehmer zu Lebzeiten weder ein sog. Anwartschaftsrecht auf Urlaubsabgeltung erworben, das nach dem Erbfall zu einem Vollrecht erstarke, noch bestehe ein „werdendes Recht“, das als vermögenswertes Recht nach § 1922 Abs. 1 BGB auf seine Erben übergehe.
Kehrtwende durch das Bollacke-Urteil des EuGH
Die Rechtsprechung des EuGH hat auf das deutsche Urlaubsrecht einen entscheidenden Einfluss, da in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 bestimmte Regelungen zum Urlaubsrecht getroffen werden, die der deutsche Gesetzgeber mittels des BUrlG in nationales Recht umgesetzt hat. Das nationale Urlaubsrecht muss also, soweit es den Regelungsbereich der Richtlinie 2003/88 betrifft, den Mindestvorgaben dieser europäischen Richtlinie entsprechen. Für die Auslegung europäischer Richtlinien ist gemäß Art. 267 Abs. 1 AEUV der EuGH zuständig. Die nationalen Gerichte sind dementsprechend bei ihrer Auslegung der Normen des BUrlG, soweit diese die Richtlinie umsetzen, an die Auslegung des EUGH bezüglich der Urlaubsregelungen aus der Richtlinie gebunden.
In Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 ist geregelt, dass der bezahlte Mindestjahresurlaub nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine finanzielle Vergütung ersetzt werden darf.
Der EuGH hat im Bollacke-Urteil vom 12.06.2014 (C-118/13) entschieden, dass es mit Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 unvereinbar wäre, wenn durch den Tod des Arbeitnehmers der Anspruch auf Urlaubsabgeltung unterginge, da die Richtlinie nicht auf Kosten der Rechte der Arbeitnehmer restriktiv ausgelegt werden dürfe und anderenfalls nicht gewährleistet wäre, dass der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub praktisch wirksam würde. Aus diesen Vorgaben der Richtlinie folge außerdem, dass es nicht erforderlich sei, dass der Arbeitnehmer vor seinem Tod, einen Antrag auf die Urlaubsabgeltung gestellt habe.
Anwendung auch auf den vertraglichen Mehrurlaub?
Da Art. 7 der Richtlinie 2003/88 lediglich vom bezahlten Mindesturlaub spricht, stellt sich die Frage, was für den darüber hinausgehenden tarifvertraglichen bzw. individualvertraglichen Urlaub gilt. Sowohl das ArbG Berlin als auch das LAG Düsseldorf gehen in den oben angegebenen Entscheidungen davon aus, dass grundsätzlich auch der Mehrurlaub des verstorbenen Arbeitnehmers abzugelten ist. Denn der Mehrurlaub ist von der Richtlinie 2003/88 zwar nicht umfasst, sodass die ihn regelnden Parteien frei bestimmen können, ob er anders behandelt werden soll als der Mindesturlaub. Eine unterschiedliche Behandlung des Mehrurlaubs finde allerdings nur statt, wenn klare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass dies gewollt ist (BAG, Urt. v. 22.05.2012 ‑ 9 AZR 618/10 ‑).
Handlungsbedarf bei der Vertragsgestaltung!
Arbeitgeber müssen sich daher darauf einstellen, dass im Fall des Todes eines Arbeitnehmers dessen Erben in Zukunft vermehrt Anspruch auf Urlaubsabgeltung erheben werden. Um die Zahlungspflichten zu begrenzen, sollten Arbeitgeber darauf achten, in Tarifverhandlungen und Musterarbeitsverträgen Klauseln vorzusehen, die schon bei der Urlaubsgewährung zwischen Mindest- und Mehrurlaub unterscheiden und den Mehrurlaub von der Abgeltung ausdrücklich ausnehmen.