Die Entsendung von Arbeitnehmern gehört gerade in international tätigen Konzernen, aber auch für immer mehr Mittelständler zum Alltag. Rechtsrahmen für solche Entsendungen ist auf europäischer Ebene die Entsenderichtlinie 96/71/EG („ERL“). Deren Fokus lag bisher auf der Gewährung lediglich von Mindestarbeitsbedingungen. Mit einer geplanten Neuregelung will die Europäische Kommission einen „gerechteren“ EU-Arbeitsmarkt schaffen und insbesondere den Programmsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort“ zu allgemeiner Geltung bringen. Welche Neuregelungen sind geplant, und wie wirken sie sich auf Entsendungen aus und nach Deutschland aus?
Durch die geplante Reform soll es u.A. folgende wesentliche Änderungen geben:
- Bei den Mindestarbeitsbedingungen soll nicht mehr auf „Mindestlohnsätze“ sondern auf die „Entlohnung“ insgesamt abgestellt werden. Dem entsandten Arbeitnehmer wäre damit nicht nur wie bisher der nationale gesetzliche oder tarifliche Mindestlohn garantiert, sondern darüber hinaus auch alle anderen Vergütungsbestandteile wie Zulagen und Sonderzahlungen, die im Zielstaat verbindlich geregelt sind. Um die Entlohnungsbestandteile transparent zu gestalten, soll jeder Mitgliedstaat verpflichtet werden, auf einer hierfür eingerichteten Website die Entlohnungsvorschriften zu veröffentlichen.
- Die branchenmäßige Einschränkung der Anwendbarkeit von Regelungen aus allgemeinverbindlichen Tarifverträgen auf das Baugewerbe soll gestrichen werden.
- Bei einer Entsendungsdauer aus dem Heimatstaat von mehr als 24 Monaten Dauer soll das Aufnahmeland als der Staat gelten, in dem der Arbeitnehmer „seine Arbeit gewöhnlich verrichtet“. Das hätte unmittelbar zur Folge, dass nach Art. 8 Rom-I-VO im Fall einer unterbliebenen Rechtswahl das Arbeitsrecht des Zielstaates von Beginn der Entsendung an auf das Arbeitsverhältnis Anwendung fände oder bei erfolgter Rechtswahl jedenfalls das zwingende Schutzrecht des Zielstaates auf das Arbeitsverhältnis durchschlagen könnte.
- Unteraufträge sollen nur noch an solche Unternehmen vergeben werden dürfen, die ihren Arbeitnehmern diejenigen Entlohnungsbedingungen einräumen, die auch beim Hauptauftragnehmer gelten.
Hauptziel der Änderungen ist die Unterbindung von so genanntem „Lohndumping“ bei gleichzeitiger Vereinheitlichung der Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen, die in mehreren Mitgliedsstaaten aktiv sind, sowie rein national tätigen Unternehmen.
Derzeitige Rechtslage
Nach der aktuellen ERL sind auf europäischer Ebene zwar Mindestarbeitsbedingungen für entsandte Mitarbeiter gewährleistet. Arbeitgeber sind aber bislang nicht verpflichtet, entsandten Arbeitnehmern darüber hinausgehende Gehaltsbestandteile zu gewähren, die im Aufnahmeland Anwendung finden. In Konsequenz kann es derzeit zulässigerweise zu Unterschieden bei der Vergütung entsandter und lokaler Arbeitnehmer kommen, obwohl diese eine weitgehend identische Tätigkeit ausüben.
Für das Baugewerbe gelten europaweit weitergehende Mindestarbeitsbedingungen wie etwa die Einhaltung der nationalen Höchstarbeitszeiten, die Gewährung eines bezahlten Jahresurlaubs sowie die Einhaltung von Mindestlohnsätzen.
In Deutschland sieht das AEntG (in überschießender Umsetzung der Richtlinie) noch weitergehende Regelungen vor. Mindesarbeitsbedingungen kraft allgemeinverbindliche Tarifverträge sind hier nicht auf den Bausektor beschränkt. Auch nach dem AEntG mussten jedoch lediglich Mindestlohnsätze an die entsandten Mitarbeiter weitergegeben werden. Zulagen oder Sonderzahlungen mussten den entsandten Arbeitnehmern bisher weder nach der ERL noch nach dem AEntG gewährt werden.
Geplante Neuregelung – nicht ohne Kritik
Mit dem Reformvorschlag möchte die Europäische Kommission sämtliche Entlohnungsgrundsätze für lokale Arbeitnehmer auch auf entsandte Arbeitnehmer anwenden – ganz gleich, aus welcher Branche sie stammen. Entsandte Mitarbeiter sollen dieselben Vergütungsbestandteile erhalten wie lokale Arbeitnehmer. Dieses Ziel erinnert an den equal-pay-Grundsatz bei der Arbeitnehmerüberlassung nach der RL 2008/104/EG (national umgesetzt im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz).
Nach Veröffentlichung des Reformentwurfes waren in mehreren Mitgliedsstaaten Stimmen lautgeworden, dass die Richtlinienreform zu weit gehe und gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoße. Danach sind Regelungen vorrangig auf nationaler Ebene zu treffen und nur dann auf europäischer Ebene, wenn grenzüberschreitende Angelegenheiten vorliegen, die die einzelnen Mitgliedsstaaten nicht alleine regeln können. Die Europäische Kommission hält trotz dieser kritischen Fragen unangefochten an ihrem Reformvorschlag fest. Es bleibt abzuwarten, wie der Vorschlag in den kommenden Schritten durch den Rat und das Europäische Parlament bewertet wird.
Gut gemeint, aber auch gut gemacht? Folgen für den deutschen Arbeitsmarkt
Wird die Reform vom europäischen Parlament beschlossen, so wäre eine Anpassung des deutschen AEntG notwendig. Besonders würde sich die Ausweitung der Pflicht auf Gewährung aller Entlohnungsbestandteile auswirken: Einige allgemeinverbindliche Tarifverträge sehen je nach Branche Nachtarbeits-, Sonntagszuschläge und/oder Erschwerniszulagen vor. Diese müssten dann auch den entsandten Mitarbeitern gewährt werden.
Die Anwendbarkeit deutschen Rechts oder jedenfalls deutschen Schutzrechts auf entsandte Arbeitnehmer, die länger als 24 Monate in Deutschland tätig sind, könnte die Bereitschaft der Unternehmer aus dem europäischen Umland hemmen, ihre Arbeitnehmer langfristig nach Deutschland zu entsenden. Besonders der deutsche Kündigungsschutz gilt im europäischen Vergleich als sehr streng und würde die europäischen Arbeitgeber vor besondere Hürden stellen. Nach der aktuellsten Statistik aus dem Jahr 2014 ist Deutschland mit 414.220 Mitarbeitern, die jährlich nach Deutschland entsandt werden, im europäischen Vergleich auf „Platz 1“. Dies könnte sich infolge der Reform künftig ändern.
Entsendungen deutscher Arbeitnehmer ins EU-Ausland bedürften zukünftig einer gründlichen Analyse der dortigen Arbeitsbedingungen; die Vertragsfreiheit der Parteien wird in Teilbereichen weiter beschränkt.
Mit Blick auf die Ziele der Reform ist kritisch zu hinterfragen, ob diese das angestrebte Ziel der Lohngleichheit tatsächlich erreichen können. In den meisten deutschen Arbeitsverhältnissen bestimmt sich die Vergütung gerade nicht (bzw. nicht abschließend) anhand von Rechtsvorschriften oder allgemeinverbindlichen Tarifverträgen. Von rund 71.900 Tarifverträgen in Deutschland sind derzeit gerade einmal 490 für allgemeinverbindlich erklärt). In Branchen, in denen sich die Lohnbestandteile ausschließlich durch Verhandlungen der Vertragsparteien ergeben, kann der entsandte Arbeitnehmer von dieser Neuerung jedenfalls nicht profitieren. Hier ist eine Lohngleichheit nach der aktuell geplanten Reform gerade nicht garantiert. Auch die „24-Monats“-Regel eröffnet nach Deutschland entsandten Arbeitnehmern typischerweise keine weitergehenden Ansprüche.
Wir halten Sie über den weiteren Verlauf des Reformvorhabens – insbesondere mögliche Änderungen des Entwurfs bis zur Verabschiedung – auf diesem Blog informiert.