Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 28.07.2016 auf die vom BAG vorgelegten Fragen (BAG, EuGH-Vorlage vom 18.06.2015 – 8 AZR 848/13 (A), siehe hierzu Beitrag vom 07.04.2016) entschieden, dass ein Scheinbewerber keinen Diskriminierungsschutz genießt, sondern rechtsmissbräuchlich handelt (Rechtssache C-423/15). Eine Person, bei der offensichtlich sei, dass sie eine Stelle, um die sie sich formal bewirbt, gar nicht erhalten wolle, könne und dürfe sich nicht auf den durch die Gleichbehandlungsrichtlinien 2000/78/EG und 2006/54/EG gewährten Schutz berufen. Folglich hat ein Scheinbewerber bei einer Ablehnung seiner Bewerbung auch keinen Anspruch auf eine Entschädigung wegen Diskriminierung nach dem AGG.
Schutz vor Missbrauch des AGG
Mit dieser sehr zu begrüßenden Entscheidung des EuGH sind Unternehmen künftig vor Missbrauch des AGG durch Entschädigungsklagen echter Scheinbewerber geschützt. Denn der persönliche Anwendungsbereich des AGG ist damit für Bewerber nur eröffnet, wenn eine Bewerbung mit dem ernsthaften Ziel der Einstellung erfolgt. Die Gerichte werden sich zwar künftig weiter mit derartigen Klagen zu befassen und zu entscheiden haben, woran die (fehlende) Ernsthaftigkeit einer Bewerbung festzumachen ist. Wird aber eine Bewerbung eingereicht, deren Inhalt dem Anforderungsprofil der ausgeschriebenen Stelle vollkommen zuwiderläuft oder deren Formulierung die Ablehnung einer Bewerbung geradezu provoziert, dürfte die fehlende Ernsthaftigkeit auf der Hand liegen. Hierdurch dürfte nun auch den AGG-Hoppern, die Kapital aus fehlerhaften Stellenangeboten zu schlagen versuchten, ein Ende gesetzt sein. Dennoch ist aus Arbeitgebersicht wegen des in § 11 AGG normierten Verbots der benachteiligenden Ausschreibung weiterhin äußerste Sorgfalt bei der Formulierung von Stellenausschreibungen geboten, da bereits eine diskriminierende Ausschreibung die Vermutung für die Diskriminierung eines abgelehnten Bewerbers begründet.
Welcher Fall lag der EuGH-Vorlage des BAG zugrunde?
Der Kläger, ein als sog. AGG-Hopper inzwischen bundesweit bekannter Rechtsanwalt, bewarb sich bei dem beklagten Versicherungsunternehmen auf eine als „Trainee“ für unterschiedliche Fachrichtungen, darunter auch Jura, ausgeschriebene Stelle. Als Anforderungskriterien waren in der Ausschreibung ein sehr guter Hochschulabschluss, der nicht länger als ein Jahr zurückliege oder innerhalb der nächsten Monate erfolge, sowie qualifizierte, berufsorientierte Praxiserfahrung, z.B. durch Ausbildung, Praktika oder Werkstudententätigkeit aufgeführt. Auf seine Bewerbung hin, in der er seine beruflichen Qualitäten und (Führungs-)Erfahrungen hervorhob, erhielt der Kläger eine Absage. Nachdem der Kläger einen Entschädigungsanspruch in Höhe von 14.000 EUR wegen Altersdiskriminierung geltend gemacht hatte, wurde er von der Versicherung zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen; diese Einladung lehnte er ab. Als der Kläger erfuhr, dass alle Trainee-Stellen mit Frauen besetzt wurden, forderte er daraufhin eine weitere Entschädigung in Höhe von 3.500 EUR wegen Geschlechterdiskriminierung.
Das Arbeitsgericht Wiesbaden wies die Klage ab (Urt. v. 20.01.2011 – 5 CA 2491/09). Die dagegen vom Kläger beim Hessischen Landesarbeitsgericht eingelegte Berufung blieb ebenfalls ohne Erfolg (Urt. v. 18.03.2013 – 7 Sa 1257/12). Das BAG hat das vom Kläger in der Folge angestrengte Revisionsverfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob auch derjenige, der sich nur um den Status des Bewerbers im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG willen bei einem potentiellen Arbeitgeber bewirbt, ebenfalls den Schutz des dem AGG zugrundeliegenden Unionsrechts beanspruchen kann. Falls dies bejaht würde, wollte das BAG zudem vom EuGH wissen, ob die alleinige Zielrichtung der Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen einen Rechtsmissbrauch darstellt.
Entscheidung des EuGH und seine Begründung
Der EuGH sieht bei einer solchen Scheinbewerbung den „Zugang zur Beschäftigung oder zu abhängiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne der Gleichbehandlungsrichtlinien für nicht betroffen an und bewertet die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen in einem derartigen Fall als rechtsmissbräuchlich.
In seiner überraschend pragmatischen Begründung stellt der EuGH auf Titel und Zielsetzung der Gleichbehandlungsrichtlinien ab. Danach betreffen die Richtlinien den Bereich Arbeit, Beschäftigung und Beruf und zielen darauf ab, jeden „in Beschäftigung und Beruf“ bzw. „in Arbeits- und Beschäftigungsfragen“ gleich zu behandeln und einen wirksamen Schutz gegen Diskriminierungen u.a. beim „Zugang zur Beschäftigung“ zu bieten. Die Richtlinien gelten daher auch nur für eine Person, „die eine Beschäftigung sucht, und zwar auch in Bezug auf die Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen für diese Beschäftigung“. Wer jedoch mit seiner Bewerbung nicht ernsthaft eine Beschäftigung erlangen will, ist in seinem Beruf bzw. beim Zugang zur Beschäftigung nicht betroffen und fällt daher nicht in den Schutzbereich der Gleichbehandlungsrichtlinien. Außerdem könne nach EuGH einem solchen Bewerber auch kein (materieller oder immaterieller) Schaden entstanden sein, der ihm zu ersetzen ist.
Der EuGH verweist auf seine ständige Rechtsprechung, wonach sich niemand in betrügerischer oder missbräuchlicher Weise auf die Rechtsvorschriften der Europäischen Union berufen darf. Die objektive Voraussetzung des Rechtsmissbrauchs sei erfüllt, wenn „trotz formaler Einhaltung der von der Unionsregelung vorgesehenen Bedingungen das Ziel dieser Regelung nicht erreicht wurde“. Dies dürfte hier der Fall sein, da der Kläger zwar in formeller Hinsicht Bewerber um eine Arbeitsstelle war, das Ziel des gleichen und benachteiligungsfreien Zugangs zum Arbeitsmarkt bei einer bloßen Scheinbewerbung aber nicht erreicht würde. Subjektiv müsse nach EuGH der „wesentliche Zweck der fraglichen Handlung die Erlangung eines ungerechtfertigten Vorteils“ sein. Auch diese Voraussetzung wird man bei einer nicht ernsthaften Bewerbung, die ausschließlich auf die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen abzielt, bejahen.
Auf dieser Grundlage wird das BAG nun den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden haben und zweifelsohne die Revision des Klägers zurückweisen.