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Arbeitszeit Freistellung

Klarstellung zum Direktionsrecht bei Freistellung zum Überstundenausgleich

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Freistellung zum Überstundenausgleich

Das LAG Rheinland Pfalz hat in einem Urteil vom 19.11.2015 (5 Sa 342/15) das arbeitgeberseitige Direktionsrecht klargestellt: Es entschied, dass der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer – auch ohne dessen Zustimmung – einseitig zum Zwecke des Abbaus von Überstunden aus einem Arbeitszeitkonto im Rahmen billigen Ermessens freistellen darf. Grundlage hierfür ist § 106 S. 1 GewO. Ergänzend bleibt das LAG ganz auf der Linie des BAG: Die Wirksamkeit der Freistellung zum Abbau angesammelter Überstunden wird durch eine nachträglich eintretende Arbeitsunfähigkeit nicht berührt.

Was war passiert?

Der Arbeitnehmer stellte seine täglichen Arbeitszeiten in ein Arbeitszeitkonto ein. Am Tage des Ausspruchs (10.09.2014) einer betriebsbedingten ordentlichen Kündigung zum 31.12.2014 wurde der Arbeitnehmer unter Anrechnung von 472 Guthabenstunden auf seinem Arbeitszeitkonto vom Arbeitgeber ausdrücklich freigestellt. Ab dem 13.11.2014 war der Arbeitnehmer sodann ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. War die Freistellung wirksam? Das LAG entschied: Ja, insbesondere weil

  • das Direktionsrecht des Arbeitgebers durch eine Vereinbarung über den zu erfolgenden Überstundenabbau durch Freistellung erweitert werden konnte,
  • der Arbeitgeber billiges Ermessen bei Anordnung der Freistellung jedenfalls dadurch eingehalten hat, dass die Freistellung nach der Kündigung und während der Kündigungsfrist des Arbeitnehmers erfolgte,
  • der Arbeitnehmer erst nach der Freistellung arbeitsunfähig erkrankte und
  • ein Verstoß gegen das Bundesurlaubsgesetz oder das Entgeltfortzahlungsgesetz nicht vorliegt.

Begrüßenswert ist die ausdrückliche Festlegung des LAG, dass die einseitige Anordnung der Freistellung zum Überstundenabbau – ohne Zustimmung des Arbeitnehmers – durch den Arbeitgeber vom Direktionsrecht gedeckt ist.


Das Direktionsrecht des Arbeitgebers nach § 106 S. 1 GewO

Maßgeblich für die Entscheidung des LAG war das arbeitgeberseitige Direktionsrecht aus § 106 S. 1 GewO. Wurde zwischen den Arbeitsvertragsparteien vereinbart, dass Überstunden durch Freizeitausgleich abgegolten werden, kann der Arbeitgeber aufgrund des ihm zustehenden Direktionsrechts – im Rahmen billigen Ermessens, d.h. unter Abwägung der wechselseitigen Interessen der Arbeitsvertragsparteien – nicht nur die geschuldete Zeit der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers bestimmen, sondern auch, wann der Arbeitnehmer zum Überstundenabbau keine Arbeit zu leisten hat. Ist nicht ausdrücklich vereinbart, dass Überstunden durch Freizeitausgleich abgebaut werden können, hat der Arbeitgeber Überstunden im Regelfall zu vergüten. Er ist in solchen Fällen nicht berechtigt, unter Berufung auf § 106 GewO einseitig Freizeitausgleich anzuordnen. Ein bereits entstandener Anspruch auf Überstundenvergütung kann dann nicht mehr einseitig vom Arbeitgeber durch angeordnete Freistellung von der Arbeit erfüllt werden.

Das BAG führte hierzu in früheren Entscheidungen bereits aus: „Wird demgegenüber zum Abbau eines zugunsten des Arbeitnehmers bestehenden Zeitsaldos Freizeitausgleich gewährt, handelt es sich regelmäßig nur um eine Weisung zur Verteilung der Arbeitszeit iSv § 106 S. 1 GewO.“ (Urteil v. 19.05.2009 – 9 AZR 433/08). Das LAG wurde nun noch deutlicher: „Der Arbeitgeber kann Freizeitausgleich im Rahmen seines Direktionsrechts auch einseitig anordnen.“ Das LAG hat sich hier wünschenswert klar positioniert. Eine individuelle Zustimmung des Arbeitnehmers sei nicht notwendig.

Ausübung billigen Ermessens gemäß § 315 Abs. 3 BGB

Allerdings muss die Freistellung zusätzlich „billigem Ermessen“ (§ 315 Abs. 3 BGB) entsprechen, d.h. es muss eine Abwägung der widerstreitenden Interessen der Arbeitsvertragsparteien vorgenommen werden. Wird dem Arbeitnehmer gekündigt, hat der Arbeitgeber bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ein berechtigtes Interesse daran, die auf dem Arbeitszeitkonto angesammelten Überstunden des Arbeitnehmers durch bezahlte Freizeit auszugleichen. Auch im ungekündigten Arbeitsverhältnis ist im Rahmen billigen Ermessens die einseitige Anordnung von Freizeitausgleich durch den Arbeitgeber anerkannt: Der Arbeitgeber hat dabei auf die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers an der Planbarkeit seiner Freizeit Rücksicht zu nehmen. Dazu gehört, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer rechtzeitig mitteilt, wann er den Freizeitausgleich erhält, damit dieser seine Freizeit sinnvoll nutzen kann (BAG, Urteil v. 15.02.2012 – 7 AZR 774/10).

Keine analoge Anwendung des Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG)

Auch eine nach der Freistellung eingetretene Arbeitsunfähigkeit ist für den Überstundenabbau unschädlich und verstößt insbesondere nicht gegen das BUrlG. Zwar muss gem. § 9 BUrlG ein während seines Urlaubs erkrankter Arbeitnehmer diese Tage nicht auf den Jahresurlaub anrechnen. Diese Ausnahme ist jedoch zu Recht nicht auf die Freistellung zum Abbau von Arbeitszeitguthaben übertragbar. Die Freistellung dient nämlich lediglich der Einhaltung der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit, während Urlaub zum Zwecke der Erholung gewährt wird.

Kein Verstoß gegen das Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG)

Auch gegen das EFZG wird nicht verstoßen. Es gewährt dem Arbeitnehmer bei Erkrankung seinen Vergütungsanspruch trotz fehlender Arbeitsleistung weiter. Das Gesetz setzt voraus, dass die Erkrankung alleinige Ursache für den Arbeitsausfall ist. Auf diesen Fall übertragen ist jedoch auch die Freistellung Ursache für die Abwesenheit des Arbeitnehmers. Außerdem erhält der Arbeitnehmer weiterhin seine Vergütung während des Freistellungszeitraums – eine vom Entgeltfortzahlungsgesetz als notwendig erachtete Anspruchserhaltung der Vergütung ist deshalb hier gar nicht notwendig.

Bewertung und Praxisfolgen

Zusammengefasst handelt es sich um eine begrüßenswerte und konsequente Entscheidung des LAG Rheinland-Pfalz. Es obliegt gemäß § 106 S. 1 GewO dem Arbeitgeber bei Vereinbarung des Rechts zur Freistellung zum Überstundenabbau zu bestimmen, wann der Arbeitnehmer zum Überstundenabbau keine Arbeit zu leisten hat. Richtigerweise wird dieses Recht auch nicht dadurch eingeschränkt, dass der Arbeitnehmer nach Ausspruch der Freistellung erkrankt. Um zu verhindern, dass Arbeitnehmer „Berge“ von Guthabenstunden aufbauen, sollten Arbeitgeber darüber hinaus auch im laufenden Arbeitsverhältnis verstärkt von dem Instrument der Freistellung zum Überstundenausgleich Gebrauch machen. Da dies eine entsprechende Vereinbarung erfordert, sollten die Musterverträge daraufhin überprüft und gegebenenfalls angepasst werden.

KLIEMT.Arbeitsrecht




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