„Der Ball ist rund und das Spiel dauert 90 Minuten.“
So einfach ist Fußball. Ob diese Feststellung eines großen Bundestrainers für den modernen Fußball noch immer zutrifft, kann man bezweifeln. Jedenfalls ganz und gar nicht einfach kann es werden, wenn Fußballbegeisterung und Arbeitsrecht aufeinander treffen. Denn nicht jeder Arbeitnehmer wird auf den Genuss der Spiele verzichten und womöglich Siege wie Niederlagen seiner Elf (zu) ausgelassen begleiten (wollen). Für eine Menge Gesprächsstoff – auch während der „Arbeits“-zeit – ist dabei gesorgt. So manchen dürfte auch das Wettfieber packen. Die EM als Großereignis kann daher in verschiedenen Konstellationen arbeitsrechtliche Konfliktpotentiale bergen. Insbesondere gilt dies hinsichtlich Urlaub, Arbeitszeit sowie Arbeitnehmerverhalten samt dessen Kontrolle.
Urlaub und Arbeitszeit
Auch während des gesellschaftlichen Großereignisses Fußball-EM gelten prinzipiell keine arbeitszeitrechtlichen Sonderregeln. Dies jedenfalls, wenn nicht im Vorfeld, z.B. in einer Betriebsvereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit oder zu Urlaubstauschbörsen, zeitlich befristete betriebliche Sonderregeln geschaffen wurden. Sind keine Sonderregelungen vereinbart, müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die auch sonst geltenden betrieblichen und gesetzlichen Regeln beachten:
- Urlaub ist vom Arbeitgeber auf Antrag zu gewähren, soweit nicht dringende betriebliche Belange oder – bei Spielen unserer Elf besonders konfliktträchtig – Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer entgegenstehen.
- Der Arbeitgeber darf Urlaub ablehnen, wenn andere Arbeitnehmer schneller waren und die Gewährung weiteren Urlaubs zu einer personellen Unterbesetzung führen würde.
- Ein Anspruch auf Urlaubsgewährung für einzelne Spieltage oder gar Stunden ist gesetzlich nicht vorgesehen, sondern vielmehr soll Urlaub zusammenhängend gewährt werde. Eine fragmentarische Gewährung kann dazu führen, dass der Arbeitgeber den Urlaubsanspruch nicht ordnungsgemäß erfüllt und weiteren Urlaub gewähren muss.
Überstunden
Auch wenn die Spiele außerhalb der regulären Arbeitszeit ausgetragen werden, kann sich – wenn Überstunden erforderlich werden – Konfliktpotential ergeben. Ist im Arbeits- oder Tarifvertrag insoweit nichts geregelt, dürfen Arbeitnehmer grundsätzlich nicht per Direktionsrecht zu Erbringung von Überstunden verpflichtet werden. Besteht – wie vielfach üblich – eine vertragliche Regelung, sollte die Anordnung von Überstunden mit einer zumutbaren Ankündigungsfrist und in angemessenem Rahmen erfolgen.
Mediennutzung während der Arbeitszeit
Wenn Fußballspiele und deren Fernsehübertragung mit der Arbeitszeit kollidieren, stellt sich die Frage, in welchen Grenzen Arbeitnehmer die Spiele am Arbeitsplatz verfolgen können. Die technischen Möglichkeiten sind gerade in den letzten Jahren zahlreich geworden. Trotz der technischen Möglichkeiten gilt jedoch: Ohne Zustimmung des Arbeitsgebers verletzt der Arbeitnehmer jedenfalls dann seine Pflichten, wenn durch das Verfolgen der Spiele die Arbeitsleistung leidet. Im Einzelfall kommt es auf die konkrete Arbeitssituation, das Medium sowie die geltenden betrieblichen Regelungen an:
- Ein im Hintergrund laufendes Radio ist zulässig, wenn die Arbeitsleistung darunter nicht leidet und Kollegen nicht gestört werden (BAG vom 14. Januar 1986, 1 ABR 75/83).
- Fernsehen erfordert demgegenüber eine erhöhte Aufmerksamkeit und wird daher in vielen Fällen nicht mit der Pflicht zur ordnungsgemäßen Erbringung von Arbeitsleistung in Einklang zu bringen sein.
- Das Verfolgen der Spiele über den betrieblichen Internetanschluss (Live-Ticker) hängt davon ab, ob die Privatnutzung gestattet ist. Wegen der Einzelheiten siehe unsere Beträge zu (heimlichen) IT-Kontrollen und der Privatnutzung dienstlicher IT.
- Die Nutzung von privaten Devices während der Arbeitszeit richtet sich nach den jeweiligen betrieblichen Regelungen. Ein Verbot kann jedoch, folgt man dem Arbeitsgericht München, der Mitbestimmung des Betriebsrats unterliegen (siehe im Einzelnen dazu unseren Beitrag zum Verbot der Nutzung des Smartphones während der Arbeitszeit).
Sanktionen bei eigenmächtigem Urlaubsantritt und Arbeitszeitverstößen?
Wird beantragter Urlaub nicht gewährt und verlässt der Arbeitnehmer eigenmächtig den Arbeitsplatz, berechtigt dies den Arbeitgeber zu arbeitsrechtlichen Sanktionen – bis hin zur außerordentlichen, fristlosen Kündigung. Ähnliches gilt für eine angekündigte „Krankmeldung“ (BAG vom 5. November 1992, 2 AZR 147/92). Auch ein eigenmächtiges „Tauschen“ der Arbeitszeiten unter den Arbeitnehmern ist nicht zulässig. Ein bereits zuvor erteilter Urlaub kann allerdings – bis auf absolute Notfälle – nicht vom Arbeitgeber widerrufen werden (BAG vom 14. März 2006, 9 AZR 11/05).
Eine Kündigung wird das Verfolgen eines Spiels während der Arbeitszeit nur in Ausnahmefällen rechtfertigen können. „Sozial adäquat“ ist das Fußballschauen während der Arbeitszeit – auch trotz des hohen gesellschaftlichen Stellenwerts der Fußballeuropameisterschaft – deswegen noch nicht (in diese Richtung aber: ArbG Frankfurt/Main vom 9. Februar 2011, 7 Ca 4868/10). Bei einfachen Verstößen wird daher regelmäßig zunächst die Abmahnung Mittel der Wahl sein, wenn Sanktionen umgesetzt werden (müssen).
Fanbekleidung
Wenn Arbeitnehmer ihrer Fußballbegeisterung auch optisch Ausdruck verleihen, ist das in einigen Bereichen von Arbeitgebern sicherlich hinzunehmen. Kann der Arbeitgeber nach den Gepflogenheiten im Betrieb/Unternehmen jedoch ein gewisses Erscheinungsbild seiner Mitarbeiter erwarten, darf er strengere Maßstäbe anlegen.
Verstöße gegen vertraglich vereinbarte Regeln im Erscheinungsbild können zu einer Abmahnung berechtigen. Ob der Arbeitgeber im Wege des Direktionsrechts auf die Kleiderordnung einwirken kann, ist eine Frage des Einzelfalls und hängt vornehmlich von der geschuldeten Arbeitstätigkeit und der Branche ab.
Alkoholkonsum
Ein absolutes Alkoholverbot kennt das deutsche Arbeitsrecht nur für bestimmte Berufsgruppen, deren Tätigkeit mit Alkoholkonsum per se unvereinbar ist. Im Übrigen dürfte eine strikte, einseitig vom Arbeitgeber festgelegt „0-Promille-Grenze“ ohne Bezug zur Arbeitsleistung bzw. deren Beeinträchtigung unzulässig sein.
Arbeitnehmer verstoßen allerdings gegen ihre vertraglichen Pflichten, wenn sie nach Alkoholkonsum in arbeitsunfähigem Zustand am Arbeitsplatz erscheinen, den Betriebsfrieden stören und/oder gegenüber Kunden negativ auffallen. In solchen Fällen sollte der Arbeitgeber erwägen, Arbeitnehmer von der Arbeit freizustellen und sicherstellen, dass die betreffenden Arbeitnehmer sicher nach Hause gelangen. Da Alkoholkontrollen durch den Arbeitgeber nicht ohne Zustimmung des Arbeitnehmers durchgeführt werden können, sollten offensichtliche Alkoholverstöße – mit Blick auf mögliche Sanktionen – dokumentiert werden.
Tipp-Spiele
Die in vielen Unternehmen beliebten internen Tipp-Spiele können gegen Compliance-Richtlinien verstoßen und zur Haftung der Geschäftsführer führen. Denn ab einem gewissen finanziellen und organisatorischen Umfang können Tipp-Spiele mit Blick auf die Vorgaben der Gewerbeordnung (Gewinnspiele ohne Erlaubnis, § 33d GewO) und des Strafgesetzbuches (Veranstaltung unerlaubten Glücksspiels, § 284 StGB) problematisch sein. Soweit Arbeitgeber ihren Mitarbeitern die betriebseigene Infrastruktur (z.B. E-Mail/Intranet) für Tipp-Spiele zur Verfügung stellen, sollten sie daher ausdrücklich klarstellen, dass die Veranstaltung lediglich auf einer privaten Initiative der Arbeitnehmer beruht.
Compliance-Verstöße
Haftungsträchtig und arbeitsrechtlich relevant können ferner die gerade im Außendienst weiterhin nicht unüblichen Geschenke und deren Annahme sein (z.B. heiß begehrte Karten für das Endspiel an „Topkunden“). Je nach Branche können hierbei strafbare Handlungen sowohl auf Seiten des schenkenden Arbeitnehmers als auch des beschenkten Kundenkontakts vorliegen. Jedenfalls aber sollten solche „Geschenke“ auf allen Seiten je kritisch unter dem Gesichtspunkt Compliance im Vorfeld bewertet werden. Denn häufig sind entweder individualvertraglich oder in internen Compliancerichtlinien entsprechende Schenkungen ab einem bestimmten Schwellenwert (z.B. ab 40 EUR) untersagt.
Tarifverträge und Mitbestimmung des Betriebsrats
Die dargestellten Grundsätze können durch tarifliche oder betriebliche Regelungen modifiziert sein. Insbesondere Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats sind zu beachten. Bei Fragen der Urlaubsregelung (etwa Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze) folgen Mitbestimmungsrechte aus § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG; bei Fragen der Arbeitszeitgestaltung aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG und bei Fragen zu Internetnutzung, Arbeitskleidung und Alkoholverboten aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Übergeht der Arbeitgeber bestehende Mitbestimmungsrechte, kann dies zu Unwirksamkeit von Einzelmaßnahmen sowie Einigungsstellen- und Gerichtsverfahren führen.
Fazit
Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten ihre Rechte und Pflichten auch während der Fußball-EM kennen und beachten. Auf die typischen Situationen (Urlaubsgewährung, Arbeitszeiteinhaltung, Mediennutzung, Complianceverstöße) sollten sich Unternehmen entsprechend proaktiv vorbereiten. Sinnvoll können – geschrieben oder ungeschrieben – klare Spielregeln für die Belegschaft sein. Berücksichtigt werden können dabei natürlich auch die Interessen der Fußballbegeisterten. Dann dürfte für alle Beteiligten einem reibungslosen Ablauf der EM 2016 – auch am Arbeitsplatz – nichts entgegen stehen.