Der VW-Skandal ist nach wie vor in aller Munde. Dabei zeigt nicht nur dieses Beispiel, dass Unternehmen in Deutschland immer häufiger Internal Investigations zur Aufklärung von Sachverhalten durchführen (müssen). Im Vordergrund der öffentlichen Berichterstattung stehen meist strafrechtliche Aspekte: Insbesondere Korruptionsdelikte werden hier häufig genannt. Aus Sicht der Unternehmen sind aber nicht nur die strafrechtlichen, sondern insbesondere die arbeitsrechtlichen Aspekte von hoher Relevanz. So stehen Mitarbeiterinterviews, die als Teil der Internal Investigations durchgeführt werden, nicht selten in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Ausspruch einer fristlosen Kündigung. Hier müssen Unternehmen frühzeitig die arbeitsrechtlichen Vorgaben im Blick haben, damit die spätere Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht unwirksam ist und damit zu neuen Haftungsrisiken führt.
Das Mitarbeiterinterview wird zur „Verdachtsanhörung“
Im Rahmen der Durchführung von Internal Investigations liegt der Fokus meist zunächst auf der Informationsgewinnung: Der (teils) unbekannte Sachverhalt soll geordnet und aufgeklärt werden. Die gewonnenen Informationen können sich jedoch schnell dahingehend verdichten, dass die Begehung einer konkreten Straftat durch einen konkreten Mitarbeiter im Raum steht. Spätestens ab diesem Zeitpunkt wird das Unternehmen allein aufgrund des bestehenden Verdachts der Begehung einer Straftat die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung – als Verdachtskündigung – in Erwägung ziehen müssen. Dies hat unmittelbare Auswirkungen auf die rechtlichen, tatsächlichen und nicht zuletzt taktischen Aspekte der Durchführung des Mitarbeiterinterviews. Denn das Mitarbeiterinterview dient in diesem Augenblick nicht mehr bloß der Informationsgewinnung mit Blick auf den aufzuklärenden Compliance-Sachverhalt, sondern kann zugleich die nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zwingend notwendige Anhörung vor dem Ausspruch einer Verdachtskündigung darstellen. Dabei muss diese „Verdachtsanhörung“ nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) in der Regel innerhalb einer Woche nach dem Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat stattfinden (BAG v. 20.3.2014 – 2 AZR 1037/12).
Nur drei der in diesem Zusammenhang relevanten Fragen sind:
- Hat der Mitarbeiter ein Schweigerecht?
- Mit welchem Sachverhalt muss der Mitarbeiter konfrontiert werden?
- Darf der Mitarbeiter einen Rechtsanwalt hinzuziehen?
Hat der Mitarbeiter ein Schweigerecht?
Bei Mitarbeiterinterviews ist der Arbeitnehmer grundsätzlich verpflichtet, Fragen des Arbeitgebers zu beantworten. Das folgt u. a. aus seiner arbeitsvertraglichen Treuepflicht. Gute Gründe sprechen dafür, dass diese Auskunftspflicht selbst dann gilt, wenn sich der Mitarbeiter mit den Antworten selbst belastet – sich die Verdachtslage hinsichtlich der Begehung der Straftat dadurch also weiter gegen ihn verdichtet. Die nach der Strafprozessordnung geltenden Schweige- und Auskunftsverweigerungsrechte finden nämlich nur im Hinblick auf staatliche Ermittlungsmaßnahmen Anwendung, nicht jedoch bei privat veranlassten Internal Investigations durch den Arbeitgeber. Die Nichtgeltung von Schweige- und Auskunftsverweigerungsrecht bei Mitarbeiterinterviews ist allerdings nicht unumstritten. Insofern kann es im Einzelfall auch auf die Zumutbarkeit für den Mitarbeiter ankommen: Je stärker etwa die Antwort das Persönlichkeitsrecht des Mitarbeiters beeinträchtigt, desto eher ist ihm ein Recht auf Schweigen zuzubilligen. Losgelöst davon kann es in bestimmten Konstellationen sogar sinnvoll sein, dem Mitarbeiter ein Schweige- bzw. Auskunftsverweigerungsrecht bewusst zuzubilligen und ihn darüber zu belehren. Ist der Mitarbeiter nämlich auch nach der Belehrung zur Aussage bereit, erhöht die erteilte Belehrung die Glaubhaftigkeit seiner Aussage – der Anschein einer etwaigen Drucksituation im Sinne eines verspürten Zwangs zur Auskunftserteilung kommt gar nicht erst auf.
Mit welchem Sachverhalt muss der Mitarbeiter konfrontiert werden?
Damit die Anhörung im Rahmen der Verdachtskündigung verwertbar ist, muss der Mitarbeiter mit einem „greifbaren Sachverhalt“ konfrontiert werden. Er muss nach der Rechtsprechung des BAG insofern in die Lage versetzt werden, bestimmte zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen zu bezeichnen (vgl. etwa BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 206/11). In dieser Hinsicht ist in der Praxis große Vorsicht geboten: Einerseits sollten dem Mitarbeiter nicht zu detaillierte Informationen zur Verfügung gestellt werden. Denn dies könnte die aus Sicht des Unternehmens notwendige Informationsgewinnung gefährden, wenn der Mitarbeiter dadurch in die Lage versetzt wird, sich eine clevere Verteidigungsstrategie zurechtzulegen. Andererseits müssen die zur Verfügung gestellten Informationen den Anforderungen des BAG mit Blick auf die Verdachtskündigung genügen. Insofern ist eine rechtliche und taktische Beurteilung im Einzelfall erforderlich, insbesondere, wenn die Angaben des interviewten Mitarbeiters auch für andere Maßnahmen als lediglich die Kündigung genutzt werden sollen (z. B. Verwertung der Angaben gegenüber Staatsanwaltschaft, Kartellbehörde etc.).
Darf der Mitarbeiter einen Rechtsanwalt hinzuziehen?
Es besteht wohl keine Pflicht des Arbeitgebers, den Mitarbeiter auf die Möglichkeit hinzuweisen, zum Interview einen Rechtsanwalt hinzuziehen zu können. Äußert der Mitarbeiter jedoch von sich aus den Wunsch, einen Rechtsanwalt hinzuziehen zu wollen, sollte diesem Wunsch entsprochen werden. Denn nach der Rechtsprechung (BAG v. 24.5.2012 – 2 AZR 206/11) wird dem Mitarbeiter dieses Recht zugestanden. Das gilt jedenfalls für die Konstellation, in der auch die Arbeitgeberseite durch einen Rechtsanwalt im Mitarbeiterinterview vertreten ist. Hier sprechen die Gebote der Waffengleichheit sowie der Fairness des Verfahrens dafür, dass der Mitarbeiter nicht ohne entsprechenden Beistand zum Interview erscheint. Wird das Recht auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts missachtet, führt dies nach obergerichtlicher Rechtsprechung jedoch nicht unmittelbar zur Unwirksamkeit der „Verdachtsanhörung“ und somit der Verdachtskündigung. Vielmehr sollen die gewonnenen Informationen „bloß“ prozessual nicht verwertbar sein (LAG Hessen v. 1.8.2011 – 16 Sa 202/11). Das bedeutet, dass sich der Arbeitgeber zur Begründung der Kündigung lediglich nicht mehr auf die im Mitarbeiterinterview gewonnenen Informationen berufen kann. Wenn also die Informations- und Sachlage bereits vor dem geäußerten Wunsch auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für die Begründung einer wirksamen Verdachtskündigung ausreichte, hat die Ablehnung dieses Wunsches aus Sicht des Unternehmens insofern keine nachteiligen Auswirkungen.
Compliance benötigt frühzeitig arbeitsrechtliche Expertise
Unternehmen, die im Rahmen von Internal Investigations Mitarbeiterinterviews durchführen, sollten frühzeitig arbeitsrechtliche Expertise hinzuziehen. Denn nur so können sie sicherstellen, dass die arbeitsrechtlichen Rahmenbedingungen eingehalten werden und Internal Investigations selbst „compliant“ sind. Werden die Anforderungen an den Ausspruch einer wirksamen (Verdachts-)Kündigung nicht erfüllt, machen sich Compliance- bzw. Personalverantwortliche möglicherweise selbst haftbar und setzen sich sowie das Unternehmen damit neuen Risiken aus.