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Matrix Unternehmensführung

Riskantes Leiten in der Matrixorganisation

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Zahlreiche internationale und mittelständische Unternehmen sind mittlerweile in Matrixorganisationen aufgestellt. Arbeitsrechtlich können Matrixorganisationen zu entgrenzten und gespaltenen Arbeitsverhältnissen führen. Denn Arbeits- und Organisationseinheiten in der Matrix orientieren sich weder an Betriebs- noch an Unternehmensgrenzen. Dies liegt in der DNA von Matrixorganisationen. Eine besondere Herausforderung kann sich beim Umgang mit (vermeintlich) leitenden Angestellten in Matrixorganisationen ergeben. Dies zeigt die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg vom 28. Mai 2014 (4 TaBV 7/13).

Warum ist Leiten in der Matrixorganisation arbeitsrechtlich für Unternehmen riskant?

Das Leiten in einer Matrixorganisation ist arbeitsrechtlich riskant, weil die DNA einer Matrixorganisation, das unternehmens- und betriebsübergreifende Steuern von Prozessen, zu unkalkulierbaren Betriebszugehörigkeiten von Mitarbeitern führen kann. Dies zeigt der für eine Matrixorganisation typische Sachverhalt, der der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg zu Grunde lag:

Zwei Konzernunternehmen des A-Konzerns (A GmbH und AIS GmbH) betreiben virtuelle Business Units. Die AIS GmbH hat ihren Sitz in München. Mit der AIS GmbH hat der betreffende leitende Angestellte einen Arbeitsvertrag und arbeitet örtlich in München. Gleichzeitig hat der leitende Angestellte gegenüber ca. 50 Mitarbeitern der AIS GmbH in München und gegenüber ca. 20 Mitarbeitern der A GmbH am Standort Stuttgart ein fachliches und disziplinarisches Weisungsrecht. Der Betriebsrat der A GmbH in Stuttgart vertritt die Auffassung, dass der leitende Angestellte, obwohl örtlich fast nie in Stuttgart, wegen des Weisungsrechts für die ca. 20 Mitarbeiter in den Stuttgarter Betrieb der A GmbH eingegliedert ist.

Das Arbeitsgericht Stuttgart und Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg sind der Argumentation des Betriebsrats gefolgt. Die ersten Begründungsansätze des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg sind noch unspektakulär. Denn es stützt sich auf bekannte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Danach ist der Status eines Mitarbeiters nicht auf den Konzern bezogen zu ermitteln. Vielmehr kommt es auf das Unternehmen an (u.a. BAG v. 20.4.2005 – 7 ABR 20/04). Folge dieser Rechtsprechung ist, dass in Konzernstrukturen ein leitender Angestellter in einem Unternehmen als solcher zu behandeln ist, in einem anderen Konzernunternehmen, für das er auch tätig ist, hingegen nicht.

Arbeitsrechtlicher Angriff auf die DNA von Matrixorganisationen

Kritischer, weil typisch für Matrixstrukturen, sind die weiteren rechtlichen Annahmen des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg. Ergänzend stellt es nämlich fest, dass allein die Führung von Mitarbeitern in einem fremden Betrieb (hier Stuttgart) zur Eingliederung des Vorgesetzten in diesen fremden Betrieb führen kann. Dies gilt dann, wenn dem Vorgesetzten eine Arbeitsaufgabe im Konzern zugewiesen ist, die teilweise dem arbeitstechnischen Zweck des Fremdbetriebs (hier Stuttgart) dient. Damit ist die DNA von Matrixorganisationen, die typische Form der Leitung, arbeitsrechtlich angegriffen.


Sollte das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg bestätigen, kann dies weitreichende negative Folgen für Matrixorganisation und die betriebsverfassungsrechtliche Handhabbarkeit der Belegschaft haben.

Keine Anwesenheit für Betriebszugehörigkeit erforderlich

Denn nach der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg setzt eine Eingliederung in einen Betrieb zunächst nicht voraus, dass Mitarbeiter Tätigkeiten auf dem jeweiligen Betriebsgelände erbringen. Auch müssen keine Mindestanwesenheitszeiten erfüllt werden. Vielmehr sei das Weisungsrecht funktional und nicht örtlich zu betrachten. Daher kann allein die Vorgesetztenfunktion in der Matrixorganisation zu einer Eingliederung in einen fremden Betrieb führen.

Die rechtlichen Folgeprobleme und Rechtsunsicherheiten dieser rechtlichen Annahme sind weitreichend. Dies beginnt zunächst bei der Frage der Zuständigkeit desjenigen Betriebsrats des Betriebs, in denen der leitende Angestellte Mitarbeiter führt. Rein vorsorglich müsste dieser Betriebsrat bei jeder Einstellung, Versetzung und Kündigung eines betriebsübergreifend agierenden Vorgesetzten beteiligt werden.

Rechtliche Folgeprobleme und Rechtsunsicherheiten

Weitaus schwerwiegender können die Auswirkungen auf den betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriff an sich einschließlich zugehöriger Themenfelder sein.

So stellt sich bei „verdeckt“ eingegliederten Vorgesetzten jeweils die Frage, inwieweit bestimmte Schwellenwerte zum Beispiel bei Betriebsänderungen gemäß § 111 BetrVG und beim Sozialplan gemäß § 112 BetrVG erreicht werden. Gleiche Fragestellung mit erheblicher Sprengkraft (Unwirksamkeit von Massenkündigungen) kann sich bei der Massenentlassungsanzeige gemäß § 17 KSchG stellen. Dies insbesondere, wenn man die zunehmend strenger werdende Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Detailgenauigkeit der Massenentlassungsanzeige und dem vorgeschalteten Konsultationsverfahren berücksichtigt.

Auch bei der Frage der Anwendbarkeit von Betriebsvereinbarungen kann die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg zu erheblichen finanziell relevanten Folgen führen. Der „verdeckt eingegliederte“ Vorgesetzte kann unbeabsichtigt in den Geltungsbereich von für ihn günstigen Betriebsvereinbarungen geraten (z.B. bei Bonuszahlungen). Das Argument, er sei leitender Angestellter greift nicht. Zwar mag der entsprechende Vorgesetzte in seinem Stammunternehmen und Stammbetrieb leitender Angestellter sein. In einem für ihn fremden Betrieb, in dem er „nur“ Mitarbeiter führt, ist er es nach der derzeitigen Rechtsprechung nicht zwingend. Entsprechend kann ein solcher Vorgesetzter Anspruch auf Bonuszahlungen, Sozialplanabfindungen und ähnliche Vergünstigungen haben. Erfahrungsgemäß wird dies insbesondere vom Controlling finanziell nicht berücksichtigt und kann in einem bösen Erwachen enden, wenn massenhaft Mitarbeiter nicht eingeplante Leistungen einklagen und diese erhalten.

Fazit

Nach derzeitigem Stand sind Unternehmen in Matrixstrukturen beim Einsatz von leitenden Angestellten erheblichen rechtlichen und finanziellen Risiken ausgesetzt. Diese könnten dazu führen, dass Matrixstrukturen aus arbeitsrechtlicher Sicht keine praktikable Organisationsform mehr sein werden. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg aufhebt und eine für Unternehmen rechtssichere Grundlage für den Einsatz von Mitarbeitern und Vorgesetzten in Matrixstrukturen schafft. Sollte dies nicht erfolgen, müssen sich Unternehmen in Matrixorganisationen mit betriebsverfassungsrechtlichen Alternativen (u.U. gemäß § 3 BetrVG) befassen. Vorsicht und Gestaltungsklugheit ist bereits jetzt bei Betriebsvereinbarungen geboten. Insbesondere ist bei der Gestaltung des Geltungsbereichs von Betriebsvereinbarung erhöhte Sorgfalt geboten.

Dr. Markus Janko 

Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Partner
Markus Janko berät Arbeitgeber ins­be­son­dere bei Umstruk­tu­rie­run­gen, Unter­neh­mens­käu­fen und Due Diligence-Prozessen. Besondere Expertise besitzt er in der Unterstützung inter­na­tio­na­ler Konzerne, dem Einsatz von Trans­fer­ge­sell­schaf­ten und im Insol­venz­ar­beits­recht. Hier zeichnet er sich durch die Beratung namhafter Insol­venz­ver­wal­ter in großen Insol­venz­ver­fah­ren sowie von Unter­neh­men bei Unter­neh­mens­käu­fen aus der Insolvenz und der arbeits­recht­li­chen Sanierung in Schutz­schirm­ver­fah­ren aus. Er ist Mitglied der Fokusgruppe „Digitalisierung und Mitbestimmung“.